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Perspektive

Chronische Erschöpfung – was Ernährung leisten kann

 

7 allgemeingültige Tipps für die Ernährung bei CFS

1. Raten Sie zu mehreren kleinen Glukose- und komplexe-Kohlenhydrate-enthaltenden Mahlzeiten am Tag.

2. Empfehlen Sie den Verzehr von Linolsäure; sie kann durch b-Oxidation im Cytosol verstoffwechselt werden; Linolsäure ist in pflanzlichen Ölen enthalten, etwa in Sonnenblumen - und Olivenöl.

3. Raten Sie zum Verzehr von Stearinsäure (enthalten z. B. in Cashewnüssen, Schokolade, Milchprodukten) zur Verbesserung der Mitochondrienfunktion.

4. Empfehlen Sie natürliche MCT-Fette (anteilig enthalten in Butter, Milch, Käse, Fleisch, Ziegen- und Schaffett, Kokos- und Palmöl); sie gelangen ohne Carnitinacyltransferase in die Mitochondrien (käufliche MCT-Fette sind hier eher nicht ratsam).

5. Empfehlen Sie Maßnahmen, die zur Erhöhung des Coenzym Q10 in den Zellen führen:

6. Koffeinhaltiges (stimuliert die Atmungskette!).

7. Erwägen Sie Mikronährstoff-Supplemente, allen voran Antioxidanzien wie Vitamin C und E, Zink und Selen, außerdem die B-Vitamine, L-Carnitin und Coenzym Q10.

 

Frau Dr. Conze, Sie beraten bei chronischem Fatigue-Syndrom (CFS) ernährungstherapeutisch. Was sind Ihrer Erfahrung nach Auslöser und typische Beschwerden des Syndroms?

Die Auslöser können unterschiedlich sein. So gibt es Patient:innen, die eine Epstein-Barr-Virus-Infektion, eine Lyme-Borreliose, Dengue-Fieber oder andere, z. B. virale Atemwegsinfektionen, durchgemacht haben. Auch nach schweren Operationen, psychosozialem Stress oder massiven Negativerfahrungen tritt das CFS auf. Betroffene leiden oft an Muskelschmerzen wie bei einem Muskelkater, an Kopfschmerzen oder grippeartigen Symptomen. Das Denken fällt schwer. Konzentration und Merkfähigkeit leiden. Bei CFS handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Daher ist es nicht einfach, diese zügig gestellt zu bekommen.

Was lösen Virus-Erkrankungen und andere belastende Situationen konkret im Körper aus?

Es wird diskutiert, dass die Erzeugung freier Radikale einen ursächlichen Zusammenhang mit ME/CFS haben könnte. Dadurch kann es zu zellulären Schäden kommen. Insbesondere sind die Mitochondrien betroffen. Es kann zum Verlust der Wirksamkeit der Elektronentransportkette kommen. Die Zellen verlieren dadurch die Fähigkeit, die Energieäquivalente NADH und ATP in ausreichendem Maße zu produzieren. Besonders energieabhängige Organe wie das Gehirn, die Muskeln, das Herz oder die Leber sind von diesen Beeinträchtigungen daher in besonderem Maß betroffen.

Welche Patient:innen tragen ein erhöhtes Risiko für ME/CFS? Welche Rolle spielt beispielsweise das Immunsystem?

Es scheint, dass Männer und Frauen mit chronisch erhöhtem oxidativem Stress ein hohes Risiko aufweisen, am CFS zu erkranken. Desgleichen trifft es häufiger Menschen, bei denen das angeborene Immunsystem permanent aktiviert wird. Das CFS wird immer von einer Immunschwäche begleitet, d. h. Änderungen der Konzentration und der Verteilung der Immunglobuline im Blut, der Zytokinprofile und des B- und T-Zell-Phänotyps sowie eine verminderte Zytotoxizität der natürlichen Killerzellen sind häufige Merkmale.

Welche nicht-medikamentösen Therapieansätze können Sie empfehlen?

Bei Schlafstörungen kann das zeitweise Austesten von Melatonin oder auch von Magnesiumbisglycinat (Magnesium-Chelat) erwogen werden. Stehen Schmerzen im Vordergrund, können Akupunktur oder Procain-Basen-Infusionen hilfreich sein. Und der Abwehrschwäche kann man durch eine orthomolekulare Therapie mit Zink, Vitamin C und Vitamin D sowie Selen sehr wohl begegnen. Diese Mikronährstoffe sind alle an der Energiegewinnung im Citratzyklus und der Atemkette beteiligt genau wie L-Carnitin und Coenzym Q10.

Welchen Beitrag kann die Ernährung im Besonderen leisten?

Die Ernährung kann einen deutlichen Beitrag zur Besserung der Beschwerden leisten. Das Verringern von oxidativem Stress und eine ausreichende Versorgung mit antioxidativ wirksamen Nährstoffen kann effektiv sein. Allerdings erfordert die Ernährungsumstellung eine gute Compliance. Außerdem sollte die Modifikation möglichst von der Familie mitgetragen werden. Aus meiner Sicht ist eine Person erforderlich, die bei der Bereitstellung der regelmäßigen Mahlzeiten unterstützt. Es geht darum, Hypoglykämien zu vermeiden, häufig kleine Mahlzeiten zu essen und einen individuellen Ernährungsplan einzuhalten. Ohne Unterstützung ist das eine große Herausforderung.

Um welche ernährungstherapeutischen Maßnahmen geht es im Einzelnen?

Es ist wichtig, Nährstoffe zu verzehren, die auch außerhalb der Mitochondrien verstoffwechselt werden und somit bei „defekten” Mitochondrien Energie liefern: Dazu gehören Coenzym Q10 und Fettsäuren wie Linolsäure, ggf. auch Stearinsäure oder mittelkettige Fettsäuren, die sogenannten MCT-Fette. Wie ich schon andeutete, ist die Aufrechterhaltung eines einigermaßen stabilen Blutzuckerspiegels von Bedeutung. Nach unserer Erfahrung sollten Hypoglykämien vermieden werden. Um die Restfunktion der Mitochondrien auszunutzen, sollten regelmäßig Mahlzeiten mit langsam anflutenden Kohlenhydraten verzehrt werden. Bei Bedarf sollte aber Traubenzucker für einen schnellen Blutzuckeranstieg zur Verfügung stehen. Bei Müdigkeit am Morgen würde ich unbedingt Spätmahlzeiten empfehlen. Die Cholesterinzufuhr sollte reduziert werden, um die körpereigene Biosynthese von Coenzym Q10 zu verbessern. Mikronährstoff-Supplemente können für einige B-Vitamine, Vitamin C, D, Zink und Selen erwogen werden. Sie verbessern die Funktion der Atmungskette. 

Wenn die Ernährung bedeutsam ist, könnte eine ausgewogene, nährstoffreiche Ernährung prophylaktisch wirksam sein?

Das ist derzeit tatsächlich Gegenstand von Untersuchungen. Eine valide Aussage kann ich dazu aber nicht treffen. Es ist naheliegend, dass eine mit allen Nährstoffen gut versorgte Person mit einem guten Ernährungszustand seltener von CFS betroffen ist als ein Mensch, der schlecht mit antioxidativ wirksamen Mikronährstoffen versorgt ist. Andererseits sind die Ursachen noch nicht vollumfänglich geklärt. Es könnte auch eine genetische Komponente geben. Eine ausgewogene Ernährungsweise während und nach der Erkrankung könnte jedoch die mitochondriale Funktion durchaus verbessern und langfristig zu einem besseren Verlauf beitragen.

Frau Dr. Conze, wir danken Ihnen für dieses spannende Gespräch!

 

Frau Dr. Charlotte Conze studierte Ernährungswissenschaften an den Universitäten in Gießen und Bonn. Zunächst arbeitete sie in der Lebensmittelindustrie und in einem biologisch-analytischen Forschungslabor in München, bevor sie sich nach der Promotion in Humanbiologie als Dozentin für Ernährungslehre und Diätetik betätigte. Seit 2003 ist Dr. Conze als Ernährungstherapeutin in Neustrelitz und Neubrandenburg selbständig tätig, lehrte an der Hochschule Neubrandenburg und ist seit 7 Jahren akkreditierte Fettstoffwechsel-Therapeutin (AdiF). Die Ernährungstherapeutin ist in Fachgesellschaften und Berufsverbänden für Oecotrophologen Mitglied.

 

Bildquelle: Dr. Charlotte Conze

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