
Wissensvorsprung
Für viele junge Frauen unverzichtbar: Folsäure und Jod
Das Vitamin Folat und das Spurenelement Jod spielen für die Schwangerschaft eine besonders wichtige Rolle, da beide Mikronährstoffe an der neuronalen sowie geistigen Entwicklung des Embryos beteiligt sind. Bei einem Mangel an Folat kann es u. a. zu Neuralrohrdefekten kommen – schweren kindlichen Fehlbildungen wie Spina bifida („offener Rücken“). Seit über 30 Jahren ist bekannt und gut belegt, dass die perikonzeptionelle* Supplementierung von Folsäure – der synthetischen Form des Folats – das Risiko für Neuralrohrdefekte verringern kann.1,2 Dabei sollte mit der Einnahme des Folsäurepräparates mindestens vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft gestartet und die Einnahme während des ersten Drittels der Schwangerschaft fortgesetzt werden.3,4 Da jedoch viele Schwangerschaften ungeplant sind, wird Frauen im gebärfähigen Alter generell empfohlen – zusätzlich zu einer folatreichen Ernährung – täglich prophylaktisch 400 μg Folsäure zu supplementieren.3,5
Bei 92 % der Frauen zu geringe Folatspiegel
Inwieweit junge Frauen in der Schweiz diese Empfehlungen kennen und befolgen und wie es um deren Folatstatus steht, hat kürzlich ein Forscherteam an der ETH Zürich untersucht.6 Dazu wurden Blutanalysen bei 171 Frauen im reproduktiven Alter und bei 177 Schwangeren durchgeführt. Zudem wurden 784 Personen im mittleren Alter von ca. 34 Jahren über ihre Folat-Kenntnisse befragt. 92 % der Frauen im reproduktiven Alter und 52 % der Schwangeren wiesen Folat-Konzentrationen auf, die auf ein erhöhtes Risiko für Neuralrohrdefekte hinwiesen (RBC-Folat** < 906 nmol/l).6 Ein Folat-Mangel (RBC-Folat** < 340 nmol/l)* lag bei jeder fünften Frau im reproduktiven Alter und bei 2,8 % der Schwangeren in der Studie vor. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen (≥ 88 %) war sich der Rolle von Folat bei der fetalen Entwicklung und zur Prävention von Neuralrohrdefekten zwar bewusst. Jedoch war das Wissen über Nahrungsquellen und die Empfehlungen zur Folsäure-Supplementierung bei der Planung einer Schwangerschaft begrenzt.6
Supplementierung kommt meist zu spät
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Querschnittstudie der Universitätsklinik Magdeburg, an der 1.004 Frauen teilnahmen: 228 Schwangere und 776 Frauen in der frühen postpartalen Phase, die in ländlichen Kliniken in Deutschland medizinische Hilfe suchten, wurden zur Verwendung von Folsäure befragt.7 Die Prävalenz der perikonzeptionellen* Einnahme von Folsäure-Supplementen betrug nur 41,5 %, obwohl die Mehrheit (95 %) der befragten Frauen angab, sich der Bedeutung von Folsäure während der Schwangerschaft bewusst zu sein. Das Autorinnenteam beklagt, dass viele Frauen mit der Einnahme von Folsäure erst beginnen, wenn der Schwangerschaftstest positiv ist. Da dies zeitlich meist mit dem Neuralrohrschluss zusammenfällt, kommt die Supplementierung zu spät.7 Die Autorinnen raten Gynäkolog:innen und Hausärzt:innen, ihre Patientinnen regelmäßig, z. B. während der jährlichen Vorsorgeuntersuchungen, über Folsäure aufzuklären und jungen Frauen die Supplementierung von Folsäure zu empfehlen.7
Folsäure besser bioverfügbar als Nahrungsfolate
Eine abwechslungsreiche Kost und schonende Zubereitung ist für eine ausreichende Folatzufuhr über Lebensmittel notwendig. Gute Folat-Lieferanten sind grüne Gemüse wie Spinat, Salate und Brokkoli, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Sprossen und Weizenkeime sowie Leber und Eier.3,4 Allerdings wird die Bioverfügbarkeit von Nahrungsfolaten auf nur etwa 50 % geschätzt, da diese während der Verdauung im Darm aufgespalten werden müssen.8 Im Gegensatz dazu ist Folsäure unter Nüchternbedingungen zu fast 100 % bioverfügbar, zusammen mit Nahrung aufgenommen liegt die Bioverfügbarkeit bei etwa 85 %.8 Im Gegensatz zu Nahrungsfolaten muss Folsäure jedoch zunächst in mehreren enzymatischen Schritten in die aktive Form überführt werden. 5-Methyltetrahydrofolat, eine natürliche Form von Folat, ist auch ohne diese Zwischenschritte direkt vom Körper verwendbar.8
Ausreichende Jodversorgung sicherstellen
Möglicherweise ist vielen Frauen nicht bewusst, dass auch ein Jodmangel mit Fehlgeburten sowie Fehlbildungen beim Kind assoziiert sein kann. Neben der fetalen Schilddrüsenfunktion ist u. a. die frühkindliche Entwicklung des zentralen Nervensystems von einer ausreichenden Jodversorgung abhängig.4 So wurden bei Kindern von Müttern mit leichtem bis moderatem Jodmangel eine verringerte verbale Intelligenz und schlechtere Leistungen beim Lesen beobachtet im Vergleich zu Müttern mit einer adäquaten Jodversorgung.9–11 Durch eine Jod-Supplementierung vor und während der frühen Schwangerschaft könnten diese Folgen verhindert werden.4,12 Deutschland gilt als Jodmangelgebiet. Darüber hinaus besteht ein erhöhtes Risiko für einen Jodmangel bei Raucherinnen, bei jahrelanger Verwendung von Kontrazeptiva und bei geringem Verzehr von jodhaltigen Lebensmitteln wie Milch und Seefisch.4 Die alleinige Verwendung von Jodsalz im Haushalt ist in der Regel nicht ausreichend, um den Jodbedarf abzudecken, so dass eine Supplementierung angeraten wird.4
* Perikonzeptionell = vor der Konzeption und im 1. Trimester der Schwangerschaft
** RBC-Folat = Red blood cell folate, d. h. die Folat-Bestimmung erfolgte in den Erythrozyten.
Quellen
1. MRC Vitamin Study Research Group. Prevention of neural tube defects: Results of the Medical Research Council Vitamin Study. The Lancet 1991;338(8760):131–7.
2. De-Regil LM, Peña-Rosas JP, Fernández-Gaxiola AC, et al. Effects and safety of periconceptional oral folate supplementation for preventing birth defects. Cochrane Database Syst Rev 2015(12):CD007950.
3. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. Ausgewählte Fragen und Antworten zu Folat; 2018. Verfügbar unter www.dge.de/fileadmin/public/doc/ws/faq/FAQs-Folat.pdf. [29.04.2021].
4. Bundesinstitut für Risikobewertung. Jod, Folat/Folsäure und Schwangerschaft. Berlin; 2014. Verfügbar unter www.bfr.bund.de/cm/350/jod-folat-folsaeure-und-schwangerschaft.pdf. [28.04.2021].
5. Bundesinstitut für Risikobewertung. Höchstmengen für Folsäure in Lebensmitteln inklusive Nahrungsergänzungsmitteln. Berlin; 2021. Verfügbar unter www.bfr.bund.de/cm/343/hoechstmengenvorschlaege-fuer-folsaeure-in-lebensmitteln-inklusive-nahrungsergaenzungsmitteln.pdf. [28.04.2021].
6. Herter-Aeberli I, Wehrli N, Bärlocher K, et al. Inadequate status and low awareness of folate in Switzerland - a call to strengthen public health measures to ensure sufficient intakes. Nutrients 2020;12(12):3729.
7. Wegner C, Kancherla V, Lux A, et al. Periconceptional folic acid supplement use among women of reproductive age and its determinants in central rural Germany: Results from a cross sectional study. Birth Defects Res 2020;112(14):1057–66.
8. Cochrane KM, Mayer C, Devlin AM, et al. Is natural (6S)-5-methyltetrahydrofolic acid as effective as synthetic folic acid in increasing serum and red blood cell folate concentrations during pregnancy? A proof-of-concept pilot study. Trials 2020;21(1):380.
9. Bath SC, Steer CD, Golding J, et al. Effect of inadequate iodine status in UK pregnant women on cognitive outcomes in their children: results from the Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC). The Lancet 2013;382(9889):331–7.
10. Markhus MW, Dahl L, Moe V, et al. Maternal iodine status is associated with offspring language skills in infancy and toddlerhood. Nutrients 2018;10(9).
11. Levie D, Korevaar TIM, Bath SC, et al. Association of maternal iodine status with child IQ: a meta-analysis of individual participant data. J Clin Endocrinol Metab 2019;104(12):5957–67.
12. Bundesinstitut für Risikobewertung. Rückläufige Jodzufuhr in der Bevölkerung: Modellszenarien zur Verbesserung der Jodaufnahme: Stellungnahme Nr. 005/2021 des BfR vom 9. Februar 2021. Berlin: MyCoRe Community; 2021. Verfügbar unter www.bfr.bund.de/cm/343/ruecklaeufige-jodzufuhr-in-der-bevoelkerung-modellszenarien-zur-verbesserung-der-jodaufnahme.pdf. [28.04.2021].
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