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Perspektive

Gewichtige Rolle: Mit dem Mikrobiom abnehmen

Das Darmmikrobiom kann mit zahlreichen Einflüssen auf das Wohlbefinden in Verbindung gebracht werden. Auch bei Übergewicht und Adipositas ist es bedeutsam. Kann eine Mikrobiom-Veränderung zur Gewichtsreduktion beitragen? Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann ist Expertin auf diesem Gebiet und weiß, was möglich ist.

 

Frau Prof. Dr. Axt-Gadermann, das Mikrobiom unterscheidet sich von Mensch zu Mensch und ist sehr individuell. Gibt es dennoch gemeinsame Kennzeichen für ein „gesundes“ Mikrobiom?

Ja, die gibt es. Das Mikrobiom eines Menschen ist tatsächlich individuell wie der Fingerabdruck, aber auch aufschlussreich. Wir können beispielsweise Mikrobiome von Fleischverzehrenden und Veganer:innen gut unterscheiden. Ein gesundes Mikrobiom ist durch eine hohe Diversität gekennzeichnet. Es ist dicht mit als „günstig“ bewerteten Mikroorganismen bestückt und enthält bestimmte Bakterienstämme im Gleichgewicht. Das Gleichgewicht ist bedeutsam, denn: „nützliche“ Bakterien können auch schaden, wenn zu viele von ihnen im Darm enthalten sind. Vielfalt und Balance – das sind die Kennzeichen eines gesunden Mikrobioms.

Welche Veränderungen des Mikrobioms liegen bei Patient:innen mit Adipositas vor?

Das Mikrobiom übergewichtiger Menschen ist meist durch eine geringere Vielfalt an Mikroorganismen gekennzeichnet. Auffällig sind auch Veränderungen in der Ratio der Firmicutes und der Bacteroidetes-Stämme. Firmicutes-Stämme gelten als „Moppelbakterien“, während Bacteroidetes-Stämme für Schlankheit stehen. Es wurde festgestellt, dass ein Anstieg der Firmicutes-Bakterien um 20% zu einer 10%-igen Erhöhung der durch die Bakterien zur Verfügung gestellten Energie aus den Nahrungsmitteln führt. Pro Tag können das 150 bis 250 Kilokalorien ausmachen. Das klingt nicht viel. Im Laufe eines Jahres kann das eine Gewichtszunahme von 7 bis 8 kg bedeuten. Menschen mit Adipositas haben auch weniger Bifidobakterien, Butyrat-Bildner und Akkermansia muciniphila im Darm. Es gibt also ein „dickes“ und ein „dünnes“ Mikrobiom. Allerdings gibt es viele weitere Ursachen für Adipositas!

Ist eine Mikrobiomveränderung Förderer einer Adipositas oder führt die Adipositas zur Mikrobiomveränderung?

Es ist eher so, dass die Mikrobiomveränderung am Anfang steht. Das konnten Versuche mit Mäusen ohne Mikrobiom zeigen. Gab man ihnen ein „schlankes“ Mikrobiom, führte dieselbe Fütterung zu weniger Körpergewicht als bei Mäusen, die ein „Moppel-Mikrobiom“ erhalten hatten. Auslöser für eine Mikrobiomveränderung ist oft eine Antibiotika-Therapie oder eine Darmreinigung, die die Vielfalt und Dichte des Mikrobioms reduzieren. Je stärker ein Antibiotikum das Mikrobiom schädigt, desto stärker sind die Auswirkungen auf das Gewicht im Verlauf des Jahres. Vancomycin führt beispielsweise häufiger zu Übergewicht als Penicillin. Zwischen der Einnahme des Antibiotikums und dem Auftreten des Übergewichts können einige Monate liegen.

Das Mikrobiom kann mehr Energie aus der Nahrung ziehen, sagten Sie. Welche weiteren Mechanismen führen zu einer Gewichtserhöhung?

Das Mikrobiom kann beispielsweise die Geschmacksnerven beeinflussen und macht Menschen Appetit auf dieses oder jenes. Das können hochkalorische Süßigkeiten sein. Außerdem kann das Mikrobiom zusammen mit dem Darmepithel auch Sättigungshormone produzieren. Auch dies entscheidet darüber, ob der Mensch Appetit hat oder nicht. Ein wichtiger Mechanismus geht ebenso von Lipopolysaccharid-(LPS)-tragenden Bakterien aus. Befinden sich viele davon im Mikrobiom, so kann es zu chronischen Entzündungen kommen. Diese programmieren den Körper in die Richtung, schneller an Gewicht zuzunehmen. Es handelt sich also nicht nur um einen Mechanismus, sondern um verschiedene.

Wie lässt sich das Mikrobiom positiv – in Richtung Gewichtsreduktion – beeinflussen?

Ein vielfältiges Mikrobiom entsteht durch eine abwechslungsreiche Ernährung mit vielen Ballaststoffen, pflanzlichen Nahrungsmitteln, z. B. Hülsenfrüchten, und Nahrungsmitteln, die reich an sekundären Pflanzenstoffen, wie Polyphenolen, sind. Fleisch und Fisch in Maßen sind nicht verkehrt. Auch Rotwein und dunkle Schokolade haben in kleinen Mengen ihren Wert. Antibiotika sollten nur im Notfall eingenommen werden. Wenn dieser Notfall eintritt, dann ist eine parallele und anschließende Aufnahme von Prä- und Probiotika ein guter Tipp. Auch von Darmreinigungen im Rahmen eines Fastens rate ich ab. Einziger Grund für eine Darmreinigung ist die Vorbereitung auf eine Darmspiegelung.

Welche Bedeutung messen Sie Probiotika als Adipositas-Therapie zu?

Bei der Einnahme von Bakterienstämmen mit dem Ziel der Gewichtsreduktion müssen übergewichtige Menschen genauso viel Geduld aufbringen wie bei der Schädigung des Mikrobioms durch Antibiotika. Eine kurzfristige, etwa 14-tägige Einnahme bringt wenig Erfolg. Effekte sind erst etwa nach 3 Monaten zu beobachten. Die Bakterien müssen hoch dosiert sein. Es eignen sich bestimmte Lactobacillen (z. B. L. gasseri, L. plantarum und L. rhamnosus) sowie Bifidobakterien. Außerdem ist eine ballaststoffreiche, pflanzenbasierte Ernährung hilfreich.

Ist es sinnvoll, das Mikrobiom zu analysieren, um Rückschlüsse auf die Rolle der Darmmikroorganismen beim Übergewicht ziehen zu können?

Ja, durchaus. Allerdings ist die früher verwendete Methode der Darmflora-Analyse, bei der ein Bruchteil der Bakterien (ca. 10%) – sofern die Probe möglichst frisch im Labor ankam – auf Nährböden anzüchtbar ist, eher ungeeignet. State-of-the-Art ist heute die Genom-Sequenzierung mittels 16S-rRNA-Analyse. Spuren des bakteriellen Genoms lassen Rückschlüsse auf die im Darm vorhandenen Stämme zu. Mit dieser Methode können alle Stämme erfasst werden. Die Sequenzierung wird inzwischen von einigen spezialisierten Laboren angeboten. Das Problem ist heute allerdings noch der Umgang mit dem Ergebnis. Von dem Analysenergebnis müssen Empfehlungen abgeleitet werden. Damit müssen sich Therapeut:innen gut auskennen und sich stets fortbilden.

Frau Prof. Dr. Axt-Gadermann, wir danken Ihnen für dieses interessante Gespräch!

 

Frau Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann ist Ärztin und Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Darmbakterien und Gesundheit. 2018 hat sie das lizenzierte Online-Ernährungscoaching „Gesund mit Darm“ entwickelt, das von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst wird.  Die Bestsellerautorin hat mehrere Bücher zum Mikrobiom verfasst.

 

Buch-Tipp:

„Mikrobiom-Analyse verstehen und richtig interpretieren“ von Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann

ISBN: 978-3517101378

 


 

Bildquelle: @ Fotograf Bildschön_Dietzel

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