
Perspektive
Prof. Sendlmeier: „Lauter zu sprechen, bringt meist wenig“
Stimme ist so etwas wie ein akustischer Fingerabdruck. Sie sagt viel über den Sprecher, wir müssen nur richtig hinhören, meint Prof. Sendlmeier, der die Wirkung von Stimmen erforscht hat. Der Kommunikationswissenschaftler verrät, worauf es bei der Kommunikation mit schallschluckender Maske ankommt.
Herr Professor Sendlmeier, welche Informationen transportiert eigentlich unsere Stimme und unsere Art zu sprechen?
So wie wir den Mund aufmachen, um zu sprechen, geben wir sehr viel über uns preis. Das Gegenüber erkennt recht zuverlässig das Geschlecht und mit einem Spielraum von ±5 Jahren das Alter. Auch kann auf den Bildungsgrad sowie die regionale und soziale Herkunft geschlossen werden. Klingen wir heiser, verschnupft oder kurzatmig, erfährt der Gesprächspartner etwas über unseren Gesundheitszustand. Darüber hinaus vermitteln wir Informationen zu unserer Stimmung, z.B. ob wir traurig, ängstlich, verärgert, gelangweilt oder gut gelaunt sind. Wir haben von professionellen Schauspielern über 500 Sätze in verschiedenen emotionalen Zuständen einsprechen lassen, die in einem Hörtest zu mehr als 80 % als die intendierten Emotionen erkannt wurden. Daraus ist die frei zugängliche EMO-Datenbank (Berlin Database of Emotional Speech) entstanden, die u. a. zur Entwicklung von Algorithmen zur automatischen Emotionserkennung verwendet wird.
Schauspieler sind darin trainiert, aber können auch wir unsere Stimme so beeinflussen, dass sie beispielsweise überzeugender oder sympathischer klingt?
So einfach, wie manche Sprechtrainer vollmundig versprechen, ist es leider nicht. Dazu muss man wissen, dass unsere Stimme ein Teil unserer Persönlichkeit ist. „Person“ (per sonare) bedeutet so viel wie „durch den Klang der Stimme“. Die Hauptdimensionen unserer Persönlichkeit – die sog. Big Five – schwingen in unserer Stimme immer mit: Neurotizismus (Emotionale Stabilität), Extraversion (Geselligkeit), Offenheit, soziale Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Extrovertierte Menschen erkennen wir beispielsweise daran, dass diese etwas lauter und schneller sprechen, oft deutlicher artikulieren und hinsichtlich Satzmelodie, Akzentuierung und Sprechrhythmus stärker variieren. Ein extrovertierter Mensch klingt daher dynamischer und lebendiger als ein introvertierter.
Wie können wir herausfinden, wie die eigene Stimme auf andere wirkt?
Ohne systematische Analysen und Experimente eigentlich gar nicht. Denn Sie wissen nie, welchen Anteil neben Stimme und Sprechweise weitere Faktoren wie Kontext oder Körpersprache dazu beitragen. In der Alltagskommunikation greifen wir unmittelbar alle verfügbaren Informationen an der Oberfläche unserer Gegenüber ab und verschmelzen diese zu einem Gesamturteil. Wir erleben unser Gegenüber ganzheitlich und intuitiv als z.B. „sympathisch“ oder „angenehm“, können es aber selten begründen. Das liegt auch daran, dass wir in unserer Sprache außer „laut“ und „leise“ keine echten auditiven Attribute haben. Um eine Stimme zu beschreiben, sind wir auf Metaphern angewiesen, wie warm oder kalt, rau oder geschmeidig, hoch oder tief.
Was ist in Bezug auf die Stimme im Gespräch mit Patienten bzw. Kunden besonders wichtig?
Wichtig ist, nicht nur auf den Inhalt zu achten, sondern die Semantik einmal bewusst beiseite zu schieben. Das ist gar nicht einfach, denn wir sind immer darauf aus, Wörter wiederzuerkennen. Dabei greifen wir permanent auf die Einträge in unserem mentalen Lexikon zu, um die Bedeutung des Gesprochenen zu erfassen. Die mitgelieferten extralinguistischen Informationen blenden wir weitgehend aus. Wenn Ärzte und Apotheker ihre Aufmerksamkeit auf den Klang der Stimme und die Sprechweise des Patienten lenken, erfahren sie mehr über die Person und darüber, wie es ihr tatsächlich geht, z.B. wie sensibel oder robust sie ist, wie besorgt oder zuversichtlich. Vor diesem Hintergrund können sie die Bedeutung ihrer Worte viel besser einordnen.
Aktuell entfällt mit der Maske nicht nur ein Großteil der Mimik, die Stimme wird auch noch gedämpft. Was raten Sie dem Apotheken- und Praxispersonal, wie sie dennoch möglichst unmissverständlich mit ihren Kunden bzw. Patienten kommunizieren können?
Einerseits haben wir durch Wegfall der Mimik die Chance uns noch besser auf die Stimme konzentrieren zu können. Andererseits wird die Verständlichkeit herabgesetzt. Davon sind besonders die Konsonanten betroffen. Vor allem die impulsförmigen Laute (Plosive) wie p, t, k, b, d, g und die Reibelaute (Frikative) wie f, s, sch, v, w gehen als erstes verloren. Das ist gerade bei vielen älteren Menschen dramatisch, da Verständlichkeitseinbußen aufgrund von Hörschäden noch hinzukommen und die Worterkennung massiv beeinträchtigen. Um diese Defizite auszugleichen, müssen Ärzte und Apotheker jetzt sehr viel deutlicher sprechen.
Lauter zu sprechen, bringt meist nur wenig, sondern führt nur dazu, dass die Aussprache noch mehr leidet. Wichtig ist es auch, klare, sinngliedernde Pausen zu setzen. Denn wenn das Sprachsignal den Hörer aufgrund der Maske nur lückenhaft erreicht, muss er zusätzliche kognitive Arbeit leisten, um die Lücken sinnvoll zu ergänzen. Und das kostet Zeit. Wird zu schnell weitergeredet, kann der Zuhörer nicht mehr folgen. Indem wir Satzakzente setzen und an den richtigen Stellen Wörter betonen, lenken wir die Aufmerksamkeit der Hörer hin zur Kerninformation. Ein kleiner Tipp: Wenn Sie das Gefühl haben, überartikuliert oder manieriert, also eher gekünstelt, zu sprechen, ist es für Ihr Gegenüber gerade richtig.
Herr Professor Sendlmeier, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch!
Prof. Dr. Walter F. Sendlmeier
forscht und lehrt seit 1993 als Kommunikations- und Sprachwissenschaftler an der Technischen Universität Berlin. Einer seiner Schwerpunkte ist die Sprechwirkungsforschung. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie Menschen aufgrund ihrer Stimme und Art zu sprechen auf andere Menschen wirken. Zur Vertiefung: W. Sendlmeier (2019, 3. Auflage) Sprechwirkung – Grundlagen und Anwendungen mündlicher Kommunikation. Logos Verlag Berlin.
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