
Wissensvorsprung
Knackig oder soft: Lebensmitteltextur beeinflusst die Energieaufnahme
Industriell stark verarbeitete Lebensmittel stehen in Verdacht, Übergewicht und ernährungsbedingte Krankheiten zu fördern. Zu viel Energie und Zusatzstoffe bringen Pfunde auf die Waage. Ist das so? Der Fokus fällt jetzt auf die Textur: Hart oder weich spielen eine gewichtige Rolle.
Eine aktuelle Untersuchung1 bringt es auf den Tisch: Nicht der Grad der Verarbeitung eines Lebensmittels allein ist für die Energieaufnahme ausschlaggebend. Eine wichtige Bedeutung haben die Konsistenz und die sensorische Beschaffenheit der Nahrung – kurz die Textur. Sie entscheidet darüber, wie groß der Bissen ist, wie oft gekaut und wie schnell gegessen wird, bevor der Bissen die Speiseröhre entlang in den Magen gleitet. Je langsamer gegessen wird, desto schneller tritt ein Sättigungsgefühl2 ein und desto weniger Nahrung wird benötigt. Weniger Nahrung bedeutet eine geringere Energieaufnahme, niedrigeres Körpergewicht und seltener ernährungsbedingte Erkrankungen.
26% weniger Energie aufgenommen
An der Studie1 nahmen 50 gesunde Männer und Frauen teil. Sie erhielten vier verschiedene Testmahlzeiten. Entweder bekamen sie eine Mahlzeit, die aus geringfügig verarbeiteten Lebensmitteln bestand und von der Textur her als hart oder weich zu bezeichnen war. Alternativ wurde den Proband:innen eine harte und eine weiche Mahlzeit mit ultra-hochverarbeiteten Lebensmitteln (ultra-processed foods, UPF) angeboten. Die Speisen unterschieden sich geringfügig in der Energiedichte. Allerdings hatten alle Gerichte insgesamt in etwa denselben Energie-Gehalt. Die Proband:innen durften von ihrer Testmahlzeit so viel essen, wie sie wollten. Gemessen wurde der Verzehr in Gramm und Kilokalorien sowie die Essgeschwindigkeit. Nicht der Verarbeitungsgrad entschied über die verzehrte Menge, sondern tatsächlich die Textur: Von harten Speisen wurden unabhängig davon, ob sie stark prozessiert waren oder nicht, weniger gegessen. Die Proband:innen sparten 21% des Nahrungsgewichtes und sogar 26% Energie ein.1
Essgeschwindigkeit per Videobeweis
Hintergrund dieses Befunds ist wohl der Effekt harter Nahrung auf die Essgeschwindigkeit. Diese wurde mittels Videoaufnahmen bestimmt. Eine harte Textur reduzierte die Bissgröße und erhöhte die Kau-Zeit sowie die Verweildauer im Mund.1 Am niedrigsten war die Energieaufnahme der Proband:innen, die die gering verarbeiteten harten Lebensmittel verzehrt hatten, gefolgt von der Gruppe derjenigen, die die harte UPF-Mahlzeit einnahmen. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch eine Studie3, in der die Energieaufnahme und Essgeschwindigkeit von Frühstücksbreien (Porridge) untersucht wurde. Die Proband:innen verzehrten entweder einen mit harter Nahrung vergleichbaren dicken Brei, der hochkalorischer als der softe dünne Brei war. Der dickflüssige Brei wurde langsamer gegessen als der dünnflüssige. Dies führte zu einer um etwa 10% reduzierten Verzehrmenge und Kalorienaufnahme. Die Autor:innen schlussfolgerten, dass die Herstellung kalorienreduzierter dicker Breie und eine Verringerung der Portionsgröße die Energiezufuhr deutlich reduzieren könnte – bei gleichem Sättigungsgefühl.3
Zwischen Lebensmittelverarbeitung 4.0 und Raw Food
Dass die Textur einen Einfluss auf die Essgeschwindigkeit hat, ist eigentlich seit den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts bekannt: Einen Apfel zu verzehren dauert deutlich länger als den Saft zu trinken, den ein Apfel ergibt.4 Ebenso liegt es auf der Hand, dass schnell verzehrbare Speisen die Energiezufuhr und das Gewicht erhöhen.5 Dennoch konzentrierte sich die Forschung zuletzt mehr auf den Einfluss ultra-hochverarbeiteter Lebensmittel als auf den Einfluss der Textur auf das Gewicht. Das ist kein Wunder, denn in den Industrieländern besteht die Nahrung zu mehr als 60% aus UPFs.6 Seit der Anteil der UPFs in der Nahrung zunimmt, steigt auch der Anteil der Personen mit Gewichtsproblemen – wobei hier Bewegungsmangel und andere Faktoren auch eine Rolle spielen. Per Definition sind UPF raffinierte, extrudierte oder vorfrittierte und mit Zusatzstoffen angereicherte Lebensmittel, die hochprofitabel, lange haltbar, verzehrfertig und schmackhaft sind. Abgepacktes Brot, Fruchtjoghurt und Erfrischungsgetränke zählen demnach genauso dazu wie Würstchen und viele vegane Produkte aus dem Kühlregal.7
UPF – heterogene Gruppe Lebensmittel
Können alle UPF über einen Kamm geschoren werden? UPF haben meist eine hohe Energie- und Nährstoffdichte. Oft sind sie nicht sehr nachhaltig, denn sie fördern eine intensive Landwirtschaft leicht anzubauender, günstiger Feldfrüchte. Die Biodiversität nimmt dadurch ab. Es werden beispielsweise überproportional viele Kartoffeln und Zuckerrüben für Stärkepulver und Sirup benötigt. Hinzu kommen Verpackungsmüll und Lebensmitteltransporte. Es gibt also mehr als nur gesundheitliche Gründe, den Verzehr von UPF einzuschränken. Der Einfluss der UPF auf die Gesundheit, wie auf Diabetes, Übergewicht und kardiovaskuläre Erkrankungen, wurde in verschiedenen Studien untersucht, ist aber manchmal schwer nachzuweisen.8-10 Beim Typ-2-Diabetes8 gab es widersprüchliche Erkenntnisse: Grundsätzlich steht eine Erhöhung des Anteils der UPF in der Nahrung um 10% mit einem um 25% erhöhten Risiko für Diabetes in Zusammenhang. Jedoch spielte die Art der UPF eine Rolle. Während sich kalte oder warme herzhafte Snacks negativ auswirkten, senkte eine Ernährung, die süße Snacks und Gebäck beinhaltete, das Risiko, an Diabetes zu erkranken.8 UPF sind per Definition eine heterogene Gruppe von Lebensmitteln. Die Autor:innen der Studie vermuten, dass UPF noch weiter unterteilt werden müssen in „good and bad guys“. Zu der Gruppe der süßen Snacks und Gebäck zählte beispielsweise auch Vollkornbrot, was von der Studienpopulation häufig verzehrt wurde. Vollkornprodukte und Ballaststoffe senken das Risiko für Diabetes, so die Studienautor:innen. Eine weitere Erklärung ist, dass Studienteilnehmer:innen, denen ihr Diabetes-Risiko bereits bekannt war, durch Schulungen seltener zu süßen UPF griffen. Ganz anders sehen Ergebnisse einer Meta-Analyse von über 200.000 Proband:innen aus, bei denen die Gesamt-Mortalität sowie die kardiovaskuläre Gesundheit in Abhängigkeit vom UPF-Verzehr beleuchtet wurde.10 So steigt das Risiko für die Gesamt-Mortalität bei hohem UPF-Verzehr um 20%, für die kardiovaskuläre Mortalität insgesamt um 50% und für die Herz-bedingten Todesfälle um 66%. Ein Zusammenhang zwischen UPF-Verzehr und Tumorerkrankungen konnte nicht festgestellt werden. Eine Erhöhung der täglichen Kalorienaufnahme aus UPF um 10% führt der Meta-Analyse zufolge zu einer 15%igen Zunahme der Gesamtmortalität.10
Die Ernährungsindustrie ist gefragt
UPF können also zu einer erhöhten Energieaufnahme führen, zu Übergewicht und am Ende zu einem erhöhten Risiko zumindest für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und für die Mortalität. Inwieweit Letzteres nur für softe oder auch für UPF mit harter Textur gelten kann, ist schwer zu sagen, denn die Studien unterscheiden nicht nach Textur, sondern nach Verarbeitungsgrad. Für die ernährungsmedizinische Beratung ergeben sich hieraus dennoch Konsequenzen: Es wird schwer gelingen, Menschen vom UPF-Verzehr abzuhalten. Die Vorteile, wie schnelle Zubereitung, Geschmack und Einfachheit, sind nicht mehr wegzudiskutieren. Jedoch kann es gelingen, die UPF genauer unter die Lupe zu nehmen. Alles, was längeres Kauen erfordert, scheint sich günstiger auszuwirken. „Slow Chew Food“ als weniger herausfordernde Variante der Slow Food Bewegung – das könnte ein guter Rat für die Patient:innen sein. Die Ernährungsindustrie sollte Akzente setzen und Angebote dazu machen.
Quellen:
[1] Teo PS, Lim AJ, Goh AT, et al. Texture-based differences in eating rate influence energy intake for minimally-processed and ultra-processed meals. Am J Clin Nutr 2022;116(1:244–254
[2] Slyper A. Oral Processing, Satiation and Obesity: Overview and Hypotheses. Diabetes Metab Syndr Obes 2021;14:3399–3415
[3] McCrickerd K, Lim CM, Leong C, et al. Texturebased differences in eating rate reduce the impact of increased energy density and large portions on meal size in adults. J Nutr 2017;147(6):1208–1217
[4] Haber GB, Heaton KW, Murphy D, et al. Depletion and disruption of dietary fibre: effects on satiety, plasma-glucose, and serum-insulin. Lancet 1977;310(8040):679–682
[5] Teo PS, van Dam RM, Whitton C, et al. Consumption of foods with higher energy intake rates is associated with greater energy intake, adiposity, and cardiovascular risk factors in adults. J Nutr 2021;151(2):370–378
[6] Gibney MJ. Food texture trumps food processing in the regulation of energy intake. Am J Clin Nutr 2022;116(1):9–10
[7] Monteiro CA, Cannon G, Moubarac JC, et al. The UN Decade of Nutrition, the NOVA food classification and the trouble with ultra-processing. Public Health Nutr 2018;21(1):5–17
[8] Duan MJ, Vinke PC, Navis G, et al. Ultraprocessed food and incident type 2 diabetes: studying the underlying consumption patterns to unravel the health effects of this heterogeneous food category in the prospective Lifelines cohort. BMC Med 2022;20(1):7
[9] Gibney M, Forde CG. Nutrition research challenges for processed food and health. Nat Food 2022;3(2):104–109
[10] Suksatan W, Moradi S, Naeini F, et al. Ultra-Processed Food Consumption and Adult Mortality Risk: A Systematic Review and Dose–Response Meta-Analysis of 207,291 Participants. Nutrients 2022;14(1):174
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