
News
Nutrigenomik: Essen, wie es die Gene verlangen?
Aus Zwillings- und Adoptionsstudien ist bekannt: Übergewicht und damit verbundene Erkrankungen sind nicht allein auf den Lebensstil zurückzuführen.1,2 Nicht-insulinabhängiger Diabetes ist zu 72 % genetisch bedingt.2 Aus Untersuchungen mit eineiigen Zwillingen stammt die Erkenntnis, dass eine Überernährung innerhalb der Zwillingsgruppe zu einer relativ vergleichbaren Erhöhung des Körpergewichts führt, während die Gewichtszunahme unter den Zwillingsgruppen deutlicher variiert.1,3 Eine dänische Studie mit Adoptierten zeigt: Der BMI korreliert mit den leiblichen, nicht aber mit den Adoptiveltern.1,4 Allerdings konnte bislang bei Übergewicht, nicht-insulinpflichtigem Diabetes oder kardiovaskulären Erkrankungen kein bestimmtes Gen identifiziert werden, das für Übergewicht verantwortlich wäre. Es handelt sich also nicht um das eine defekte Gen, wie bei der Phenylketonurie, sondern um diverse Genloki.1
Risiken auch durch äußere Einflüsse auf die Gene
Neben den Genen kommt auch der Epigenetik eine Bedeutung bei ernährungsabhängigen Erkrankungen zu. Es handelt sich hierbei um Umwelteinflüsse auf die Gene. So kommt es zu einem vererbbaren Phänotyp, der sich genetisch nicht ablesen lässt. Die Nukleotidsequenz bleibt unverändert. Jedoch können beispielsweise die Ernährung oder andere Faktoren aus der Umwelt das Erbgut modifizieren, Einfluss auf die Histone nehmen oder den Chromatinumbau regulieren.1 Somit werden die genomische Struktur und Funktion verändert, nicht aber die Gene selbst.
Epigenetik: Effekte sind reversibel
Die gute Nachricht dabei ist: Die Epigenetik ist beeinflussbar und reversibel. So ist beispielsweise die Methylierung der DNA abhängig von der Versorgung mit Mikronährstoffen.1 Die Mikronährstoffversorgung in jungen Jahren kann Einfluss auf die Gesundheit im Alter haben. Eine frühe Auseinandersetzung mit der Ernährung kann sich demnach positiv auszahlen. Es ist aber nie zu spät, damit zu beginnen, denn die Epigenetik bleibt umkehrbar.
Klassische Ernährungsberatung erweitern
Die klassische Ernährungsberatung konzentriert sich therapeutisch auf Lifestyleveränderungen und ist ein zähes Geschäft. Wenn aber die Gene und die Epigenetik eine Rolle spielen, könnte eine auf das Individuum und seine Gene abgestimmte Diät dann nicht erfolgreicher sein? Das ist wohl komplizierter als es klingt.
Personalisierte Ernährung derzeit nur vereinzelt möglich
Derzeit gibt es im Markt eine personalisierte Ernährung in Form von Supplementen oder Müsli. Die Anbieter solcher Produkte führen meist eine Genotypisierung durch. Jedoch wird dabei nur auf ein paar wenige der vielen möglichen genetischen Veränderungen fokussiert. Die Fülle der genetischen Veränderungen zu erfassen und daraus Schlüsse zu ziehen, ist noch schwer möglich. Eine Umfrage bei knapp 1.400 Menschen zeigte jedoch, dass das Vertrauen in eine solche personalisierte Ernährung groß ist: 70 % der Befragten sind überzeugt, dass eine Genotyp-basierte Ernährungsempfehlung sinnvoll zur Gewichtsreduktion ist. Jede:r Zweite hält eine Genotyp-basierte Ernährung grundsätzlich für richtig.5
Interesse an Nutrigenomik ist groß
Dieses Interesse schlägt sich auch in der Praxis nieder. In der Food4Me-Studie6 wurden 1.269 Männer und Frauen eingeschlossen und erhielten eine konventionelle Ernährungsberatung oder eine personalisierte Diät. Die Gruppen mit der personalisierten Diät wurden nochmals aufgeteilt in 3 Untergruppen. Eine Gruppe erhielt die Ernährungsempfehlung ohne weitere Untersuchung der genetischen Grundlagen. In der zweiten Gruppe basierte die Empfehlung auf einer biometrischen Messung und Blutwerten, während in der dritten Gruppe auch der Genotyp berücksichtigt wurde. Die Proband:innen mit der individualisierten Ernährungsempfehlung ernährten sich verglichen mit Proband:innen, die eine gewöhnliche, allgemeine Ernährungsberatung erhalten hatten, gesünder. Dies blieb allerdings ohne Effekt auf Blutparameter und genetische Risiken. Die Studienautoren vermuteten einen hohen Placebo-Effekt. Dennoch ist die Nutrigenomik ein interessanter Ansatz, der zukünftig vielleicht eine größere Rolle spielen wird.
Quellen:
1. Holzapfel C et al. Genetics and Epigenetics in Personalized Nutrition: Evidence, Expectations, and Experiences. Mol Nutr Food Res 2022;66,2200077.
2. G. Willemsen G, et al. The Concordance and Heritability of Type 2 Diabetes in 34,166 Twin Pairs From International Twin Registers: The Discordant Twin (DISCOTWIN) Consortium Twin Res. Hum. Genet. 2015,18(6), 762–771.
3. Bouchard C, Tremblay A. Genetic influences on the response of body fat and fat distribution to positive and negative energy balances in human identical twins. J Nutr 1997;127(5 Suppl):943S–947S.
4. Stunkard A, et al. An adoption study of human obesity. N Engl J Med 1986,314(4),193–198.
5. Bayer S et al. Knowledge, opinions and expectations of adults concerning personalised genotype-based dietary recommendations: a German survey. Public Health Nutr. 2021,24(7),1916–1926.
6. Celis-Morales C, et al. Effect of personalized nutrition on health-related behaviour change: evidence from the Food4Me European randomized controlled trial. Int J Epidemiol 2017;46(2):578–588.
Bildquelle: @dusanpetkovic1/Adobe Stock