Können wir durch Autogenes Training (AT) stressresistent werden? Eine wichtige Voraussetzung für Entspannung ist es, sich von Gedanken und Bildern zu lösen, die uns in Stress versetzen. Die Grundlage dieser bewährten Entspannungstechnik ist die Autosuggestion (Selbstbeeinflussung), d. h. wir können mit der Kraft unserer Gedanken und Vorstellungen körperliche Prozesse steuern. Autogenes Training besteht aus sieben Übungen, die Anfänger:innen am besten mithilfe eines zertifizierten Lehrers in einem Kurs lernen.
Doch was genau ist Autogenes Training? Wie wirkt sich das Entspannungsverfahren auf den Körper und die Psyche aus? Welche Anleitungen und Übungen gibt es und worauf solltest Du achten, wenn Du AT lernen möchtest? Hier bekommst Du alle Informationen über die Wirkung, Anwendung von Autogenem Training und wir stellen Übungen zum Praktizieren vor.
Was genau ist Autogenes Training?
Beim Autogenen Training handelt es sich um ein Entspannungsverfahren, das die Selbstbeeinflussung (Autosuggestion) in den Mittelpunkt stellt. Mit gedanklicher Konzentration versetzen wir unseren Körper „…in einen Zustand, der dem Nickerchen ähnlich ist“, erklärt Prof. Thomas Loew, Abteilungsleiter für Psychosomatik der Universitätsklinik Regensburg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Ärztliche Hypnose und Autogenes Training (DGÄHAT).
Durch das wiederholte Vorsagen von Formeln beeinflussen wir Körper und Psyche dahingehend, dass wir dadurch einen Entspannungszustand erleben.

Begründer des Autogenen Trainings
Entwickelt wurde das Autogene Training ursprünglich von dem aus Berlin stammenden deutschen Nervenarzt und Psychiater Johannes H. Schultz (1884-1970). Im Jahr 1928 veröffentlichte er das Prinzip der Entspannungstechnik in seiner Abhandlung: „Autogenes Training“ und bezeichnete die Methode als „konzentrative Selbstentspannung“. H. J. Schultz beschäftigte sich zuvor lange Hypnose (Hypnotherapie) und den Effekten der Suggestion. Mithilfe der Selbstbeeinflussung und der Kraft der eigenen Gedanken versetzen wir uns in einen entspannten Zustand und bringen Körper und Psyche zur Ruhe.
Ziele des Autogenen Training
Das hauptsächliche Ziel von Autogenem Training ist es, einen Zustand geistiger und körperlicher Entspannung zu erreichen, indem wir unseren Körper und unsere Psyche regenerieren und in einen ausgeglichenen Zustand bringen. Die Ziele des Autogenem Training hat die Deutsche Gesellschaft für Entspannungsverfahren (DGEV) in einer Leitlinie zusammengefasst:
- Entspannung bei übermäßiger körperlicher und seelischer Anspannung
- Körperliche und seelische Selbstregulation zur Förderung von Gelassenheit
- Allgemeine gesundheitsförderliche Prävention
- Behandlung und Nachsorge von Störungen und Krankheiten
- Förderung der körperlichen, wahrnehmenden, emotionalen und verhaltensmäßigen Selbststeuerungsfähigkeiten
- Selbstregulierung vegetativer Funktionen
- Regulation von gesunden Verhaltensweisen, Konzentrationsfähigkeit
- Wahrnehmung von Körpervorgängen, Körpersignalsystemen
- Positive Körperempfindungen
- Stressregulation
- Selbsterkenntnis, Selbstfindung, Selbstverantwortung, Selbstverwirklichung
Autogenes Training: Wirkung auf Körper und Psyche
Praktizieren wir regelmäßig Autogenes Training, wirkt sich das Üben mit der Zeit positiv auf unsere Gesundheit aus. Aufgrund von Autosuggestion entspannt sich sowohl unser Körper als auch unsere Psyche, denn wir regen mit unseren Gedanken unser autonomes vegetatives Nervensystem an und entfalten darüber eine entspannende Wirkung auf unser Nervensystem und das Herz-Kreislauf-System.
Mithilfe der Entspannungstechnik können wir uns gegen Alltags-Stress wappnen und Stress abbauen, für innere Ruhe und Ausgeglichenheit sorgen. Dank der Wirkung von AT beruhigen sich auf körperlicher Ebene der Puls, Blutdruck und die Atmung. Auch angespannte Muskeln entspannen sich wieder. Auf psychischer Ebene können wir Ängste lösen, unseren Schlaf fördern und die Konzentration steigern. AT stärkt uns mental, wirkt sich darüber hinaus positiv auf unser Selbstwertgefühl aus und unterstützt die emotionale Stabilität. Kurzum: Autogenes Training trägt zu einer besseren Lebensqualität bei.
Autogenes Training: Indikationen
Autogenes Training kann laut DGEV Anwendung finden zur allgemeinen Gesundheitsprävention, zum Abbau körperlicher Funktionsstörungen und psychosomatischer Störungen und verschiedenen Erkrankungen der Nerven, Muskeln oder des Herz-Kreislauf-Systems. Auch wenn das vegetative Nervensystem übersteuert ist, können die Übungen zur Regulation beitragen. Autogenes Training kann angezeigt sein bei:
- Stress, Burnout
- Psychische Belastungen
- innerer Unruhe
- Konzentrationsstörungen
- Schlafstörungen (Insomnien)
- Depressionen und Suchterkrankungen (z. B. Alkohol-, Drogen-, Medikamenten- oder Esssucht) als begleitende Maßnahme
- Ängste und Phobien
- Muskelverspannungen, Krämpfe (Spasmen), Haltungsschäden
- Magen-Darm-Störungen (z. B. Magengeschwüre, Reizmagen, Reizdarm)
- Kopfschmerzen, Migräne
- chronischen Schmerzen (z. B. Rückenschmerzen)
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen)
- Harnwegsbeschwerden (z. B. Reizblase)
- Neurologische Erkrankungen (z. B. Morbus Parkinson)
Grund- und Oberstufe des Autogenen Training
Beim Autogenen Training werden zwei Stufen unterschieden: Es gibt die Grundstufe und die Oberstufe, die verschiedene Übungen und Formeln des Autogenen Trainings beinhalten. Bei der Grundstufe stehen Autosuggestion und Entspannung im Mittelpunkt der sechs Übungen. Die Oberstufe beinhaltet die sogenannte Wach-Traum-Technik, die vor und nach einer psychotherapeutischen Behandlung eingesetzt und von einem:einer Psychotherapeut:in begleitet wird.
Autogenes Training: Anleitung und Übungen für tiefe Entspannung
Beim Autogenen Training konzentrieren wir uns nach und nach auf einzelne Körperbereiche, auf unsere Atmung und unseren Herzschlag. Unter Anleitung spezieller Übungen lässt langsam die Anspannung in den Muskeln nach, die Glieder werden schwerer und die Durchblutung der Haut wird angeregt. Dadurch stellt sich ein wohliges Gefühl der Wärme, Schwere und im ganzen Körper ein. In Begleitung dazu sprechen und wiederholen wir Formeln und stellen uns die gesprochenen Sätze bildhaft vor unserem inneren Auge vor.
Das stufenweise Erlernen von AT erfordert ein gewisses Maß an Disziplin - dafür werden einige Wochen vergehen. Als Anfänger:in übst Du im Idealfall die Übungen dreimal wöchentlich für fünf bis zehn Minuten. Fortgeschrittene praktizieren je nach Bedürfnis zweimal in der Woche für etwa fünf Minuten. Die einzelnen Formeln der Übungen wiederholst Du drei- bis sechsmal – entweder im Geiste oder Du sprichst sie leise aus. In welcher Haltung Du die Übungen durchführst, ist reine Geschmackssache. Es stehen Dir drei Positionen zur Verfügung:
- Liegehaltung: Du liegt in Rückenlage auf einer Yogamatte. Eventuell magst Du ein stützendes Kissen für den Nacken oder die Knie verwenden.
- Lehnstuhlhaltung: In dieser Position sitzt Du auf einem bequemen Stuhl oder Sessel mit angelehntem Rücken und fest auf dem Boden stehenden Fußsohlen.
- Droschkenkutscher-Haltung: Du sitzt vorne an der Stuhlkante und beugst Deinen Oberkörper vor. Die Ellenbogen liegen auf den Oberschenkeln und der Kopf ist gesenkt.

Wie beim Yoga, MBSR oder bei einer Mediation eignet sich auch beim AT bequeme, atmungsaktive Kleidung. So funktionieren die verschiedenen Übungen der Grundstufe sowie die Wach-Traum-Technik der Oberstufe in der zweiten Phase:
1. Ruhe-Übung
Die erste Übung des AT ist die sogenannte "Ruhe-Übung”. Du förderst innere Ruhe, indem Du die Formel “Ich bin ganz ruhig” wiederholt denkst oder aussprichst. Die Ruhe-Übung kannst Du immer zwischen anderen Übungseinheiten einbauen.
2. Schwere-Übung
Mithilfe der Schwere-Übung sollen unsere angespannten Muskeln wieder entspannen. Du richtest dabei Deine Gedanken auf das Körpergewicht, das Du an den Boden abgibst. Konzentriere Dich zunächst auf einen Körperteil und wandere dann zum Nächsten bis sich alle Muskelpartien entspannt haben. Als begleitende Sätze könntest Du währenddessen “Mein linker/ rechter Arm ist schwer” oder “Mein rechtes/linkes Bein ist schwer” formulieren.
3. Wärme-Übung
Die Wärme-Übung praktizierst Du genauso wie die Schwere-Übung. Die gedachten oder ausgesprochenen Formeln lauten hier jedoch: “Mein linker/ rechter Arm oder rechtes bzw. linkes Bein ist warm” oder “Mein Körper ist ganz warm”.
4. Atem-Übung
Mithilfe dieser Übung wird Deine Atmung - ähnlich wie bei einer Meditation - tiefer, ausgeglichener, bewusster und die Atemzüge entspannter und gleichmäßiger. Die Formel dieser Übung könnte lauten: “Meine Atmung ist ruhig und gleichmäßig”.
5. Sonnengeflechts-Übung
Bei der Sonnengeflechts-Übung, auch Solarplexus-Übung genannt, konzentrierst Du Dich auf die Bauchregion, denn das Ziel dieser Übung ist es, den Stoffwechsel, die Durchblutung der Solarplexus-Region (autonomes Nervengeflecht des vegetativen Nervensystems) und die Verdauung zu unterstützen und Anspannungen im Bauch zu lösen. “Das Sonnengeflecht (oder der Bauch) ist strömend warm” wäre eine begleitende Formel.
6. Herz-Übung
Regelmäßig praktiziert, trägt die Herz-Übung dazu bei, dass sich der Herzschlag beruhigt und die Pulsfrequenz langsamer wird. Als Formel könntest Du “Mein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig” denken oder sprechen.
7. Kopf-Übung
Diese Übung soll dabei helfen, Probleme und Stress besser erkennen zu können und für entspanntere Gedanken und mehr Leichtigkeit zu sorgen. Ein möglicher Satz für die Kopf-Übung wäre “Mein Kopf ist angenehm klar”.
Rückname
Die unterschiedlichen Übungen des Autogene Trainings unterstützen uns dabei, in einen hypnotischen Bewusstseinszustand zu gelangen. Am Ende des Trainings wird dieser Zustand beendet und die Wirklichkeit rückt wieder in unser Bewusstsein. Ein formelhafter Satz für die Rücknahme wäre: “Arme fest! Atmung tief! Augen auf!”. Währenddessen spannst Du die Muskeln wieder an, klopfst mit den Fäusten auf die Schultern, streckst Dich aus und öffnest die Augen. Nach drei bis fünf Durchgängen bist Du wach und frisch. Bei einem Training vor dem Einschlafen lässt Du die Rücknahme einfach aus.
Autogenes Training lernen: Ablauf, Zeitaufwand und Kosten eines Kurses
Du möchtest gerne Autogenes Training lernen, fragst Dich aber, wie der Ablauf eines Kurses ist? In der Regel beginnt ein AT-Kurs mit einem Vorgespräch – in Form eines Einzel- oder Gruppengesprächs. Darin schilderst Du dem:der Kursleiter:in Deine persönliche Motivation für das Erlernen der Entspannungstechnik und ob eine konkrete Indikation, z. B. Dauerstress vorliegt. Die Kursleiter:innen stehen im Idealfall als Therapeut:innen auf den Listen der Fachgesellschaften DGEV oder DGÄHAT (Deutsche Gesellschaft für ärztliche Entspannungsmethoden, Hypnose, autogenes Training und Therapie). Professionelle Angebote gibt es aber auch bei Krankenkassen oder Volkshochschulen.
Wie lange dauert ein Kurs und übernehmen die Krankenkassen die Kosten?
Ein Einführungskurs in Autogenem Training dauert etwa zwei Monate und besteht aus zehn bis 15 Übungseinheiten. Abhängig von dem jeweiligen Anbieter kostet ein Kurs á zehn Einheiten zwischen 150 und 300 Euro. Wie viel der anfallenden Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der gesundheitlichen Prävention übernommen werden, ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Einige Krankenlassen übernehmen bis maximal 80 Prozent der Kosten. Frage am besten vor der Anmeldung bei Deiner Krankenkasse nach.
Autogenes Training – was sagt die Wissenschaft?
Sowohl Autogenes Training als auch die Progressive Muskelentspannung haben sich nachweislich zur Stressbewältigung und Stressprävention bewährt und werden auch von der DGEV als Methode zum Entspannen empfohlen.