Altes und Defektes entsorgen wir Menschen im Müll. Ein Teil davon wird aufwendig wiederverwertet und erstrahlt in neuem Glanz. Was wir mühsam für unseren Abfall entwickelt haben, praktizieren unsere Körperzellen in Perfektion: Recycling. Im Rahmen der sogenannten Autophagie verwenden sie beschädigte Zellelemente, um daraus neue Zellbestandteile zu bilden oder Energie zu gewinnen. Ein natürlicher Prozess, durch den sich unser Körper auf Zellebene regeneriert und der für ein gesundes, langes Leben von enormer Bedeutung ist. Hier bekommst Du die Autophagie einfach erklärt.
Definition: Autophagie – was ist das?
Der Begriff Autophagie bzw. Autophagozytose bedeutet so viel wie „sich selbst verzehren“ oder „Selbstverdauung“. Auch wenn dies erst einmal bedrohlich klingt, ist Autophagie eigentlich alles andere als gefährlich. Sie beschreibt den faszinierenden Prozess der natürlichen Selbstreinigung und Zellregeneration, der fortlaufend in unseren Zellen stattfindet.
Als kleinste Funktionseinheiten des Körpers arbeiten Billionen einzelner Zellen zusammen, um unseren Organismus gesund zu erhalten. Dabei finden ununterbrochen tausende chemischer Reaktionen statt. Doch wie bei allen komplizierten Prozessen läuft auch in der Zelle manchmal etwas schief. Eiweiße werden beispielsweise falsch gefaltet, DNA-Schäden entstehen oder fehlerhafte Mitochondrien, die Kraftwerke unserer Zelle, produzieren zu viele freie Radikale.
Da zu viele solcher Defekte den Zellstoffwechsel grundlegend stören, muss der „Zellschrott“ möglichst schnell und effizient entsorgt werden. Dies geschieht in einem ausgeklügelten Recyclingsystem, in dem die beschädigten Strukturen mithilfe von Enzymen zunächst in ihre Grundbausteine zerlegt werden. Anschließend werde diese dann als Bauteile für neue Zellkomponenten wiederverwertet oder zur Gewinnung von Energie eingesetzt.
Geschähe dies nicht, würde sich der Müll in den Zellen anhäufen und auf lange Sicht die Entstehung von Entzündungen und Krankheiten begünstigen.
Autophagie: Vorteile und Nutzen
Die Bedeutung der Autophagie für den menschlichen Körper ist noch nicht vollständig erforscht. Klar ist jedoch, dass unsere Zellen ohne diesen Selbstreinigungsprozess nicht überleben können. Das zelleigene Recyclingprogramm sorgt nämlich dafür, dass der Abbau alter oder fehlerhafter Zellbestandteile und die Produktion neuer Zellkomponenten im Gleichgewicht stehen (sogenannte Homöostase).
Zudem ist die Autophagie für viele physiologische Prozesse wie die Zelldifferenzierung, embryonale Entwicklung, Wachstumskontrolle und die Bildung von Gewebe oder Organen unverzichtbar. Die Zellregeneration hat aber noch weitere entscheidende Nutzen:
- Unterstützung des Immunsystems: Mithilfe der Autophagie werden nicht nur geschädigte Proteine und Zellorganellen, sondern auch unerwünschte Eindringlinge wie Viren und Bakterien entsorgt. Forschungsarbeiten haben zudem gezeigt, dass durch Autophagie auch Abwehrzellen wie T-Lymphozyten (sog. T-Zellen) aktiviert werden. Als Miniabwehr auf Zellebene stellt sie somit einen wichtigen Teil des Immunsystems dar. Diesen Abwehrmechanismus gegen Krankheitserreger bezeichnet man auch als Xenoautophagie.
- Sicherung der Energieversorgung: In Zeiten der Energieknappheit stellt die „Selbstverdauung“ den Versorgungsstatus der Zelle sicher, indem sie durch den Abbau von Zellbestandteilen Nährstoffe zur Energiegewinnung bereitstellt.
- Körpereigenes Healthy-Aging Programm: Je älter wir werden, desto mehr defekte Zellbestandteile und schädliche Substanzen fallen an und müssen entsorgt werden. Eine gut funktionierende Zellreinigung ist daher Voraussetzung für gesundes Altern.
Im Laufe des Lebens gerät das zelluläre Abbau- und Erneuerungssystem allerdings in Stocken und funktioniert nicht mehr so effektiv. Bleibt die Autophagie aus, altert die Zelle schneller. Es entsteht oxidativer Stress und Abfallstoffe sammeln sich an. Dies führt nicht nur zu Hautalterung, sondern wird auch mit einem erhöhten Risiko für altersbedingte Krankheiten wie Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Krebs, Diabetes Typ 2 oder neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson in Verbindung gebracht. Eine Aktivierung der Autophagie hingegen scheint sich positiv auf die Gesundheit und Lebensdauer auszuwirken. Forscher weltweit suchen deshalb nach Möglichkeiten, die natürliche Zellverjüngung zu aktivieren.
Ablauf des Vorgangs: wie funktioniert Autophagie?
Im Gegensatz zur üblichen Erneuerung von Zellen und Organen, die Tage bis Jahre dauern kann, läuft die Autophagie viel schneller und flexibler ab. So kann sie tagtäglich für Zellregeneration sorgen. Um aus alten Bestandteilen rasch neue zu bilden oder Energie zu gewinnen, läuft der zelleigene Recyclingprozess wie folgt ab (s. Abbildung/Video):
- Erkennung und Einschluss: Über spezifische Signalwege erkennt die Zelle beschädigte Zellorganellen, verklumpte Proteine oder andere unerwünschte Substanzen und veranlasst die Bildung eines zelleigenen „Müllbeutels“. Dafür legt sich zunächst eine spezifische Zellorganelle, das aus einer Doppelmembran aus Proteinen und Lipiden bestehende Phagosom, um den Zellmüll herum und schirmt den Unrat vom Rest der Zelle ab.
- Bildung von Autophagosomen: Ist der Zellmüll vollständig vom Phagosom umgeben, schließt sich die Doppelmembran und das Autophagosom entsteht. In diesem „geschlossenen Müllbeutel“ wird die sogenannte Fracht nun zu den Lysosomen, das sind kleine Zellorganellen, die mit Enzymen gefüllt sind, transportiert.
- Fusion mit Lysosomen: Nähern sich Autophagosom und Lysosom an, verschmelzen beide zum Autophagolysosom und der Prozess der Selbstverdauung beginnt.
- Abbau & Recycling: Die Enzyme des Lysosoms zerlegen den Zellmüll in seine Grundbausteine wie z. B. Aminosäuren, Zucker und Fettsäuren. Diese werden anschließend in die Zellflüssigkeit (Zytosol) freigesetzt und dort zum Aufbau neuer Substanzen (z. B. funktionsfähige Organellen und Protein) oder zur Energiegewinnung wiederverwertet. Übrigbleibende Abbauprodukte, die der Körper nicht verwerten kann, werden abtransportiert und ausgeschieden.
Zellerneuerung und Zelltod: Unterschied zwischen Autophagie und Apoptose
Während die Autophagie das Zellüberleben sichert, in dem bestimmte Bestandteile der Zelle abgebaut und erneuert werden, leitet der verwandte Vorgang der Apoptose einen programmierten Zelltod ein, bei dem sich die Zelle quasi selbst zerstört. Dieser Mechanismus ist ein natürlicher Teil des Stoffwechsels der Zelle und dient einer Vielzahl von Funktionen wie der Beseitigung von schädlichen oder entarteten Zellen. Bei der Apoptose werden die apoptotischen Zellen in Einzelteile (Apoptosekörper) zerlegt, die dann bei gesunden Menschen von Fresszellen (Makrophagen) verdaut werden.
Eine wichtige Rolle bei der Apoptose spielt Cytochrom C. Dies ist ein Protein aus der Atmungskette der Mitochondrien, das bei deren Schädigung in die Zellflüssigkeit abgegeben wird und sogenannte Caspasen aktiviert. Caspasen sind Enzyme, die als Selbstzerstörungs-Werkzeug die Zellstrukturen zerschneiden und den Abbau der DNA und des Zellkerns veranlassen. Sind die scharf geschalteten Caspasen erstmal aktiv, gibt es kein Zurück mehr. Werden geschädigte Mitochondrien jedoch über die Autophagie abgebaut, bevor Cytochrom C freigesetzt wird, kann die Apoptose verhindert werden.
Autophagie und Apoptose interagieren also miteinander und sorgen so für eine funktionierende Qualitätskontrolle der Zelle. Die Apoptose ist ebenso wie die Autophagie für ein ausgeglichenes Zellleben notwendig und kann entweder als genetisch vorbestimmter Prozess oder als Reaktion auf Veränderungen in der Zelle eintreten (wie z. B. altersbedingte Apoptose).
Vom programmierten Zelltod ist das ungeplante Sterben der Zelle, die sogenannte Nekrose, abzugrenzen. Bei der Nekrose handelt es sich um einen pathologischen Vorgang, der etwa aufgrund von Nährstoffmangel, Strahlung, Giftstoffen oder nach Verletzungen auftreten kann. Auf krankhafte Weise abgestorbene Zellen verursachen häufig begleitende Entzündungen, was bei apoptotischen Zellen nicht der Fall ist.
Autophagie Forschung: Nobelpreis für den Japaner Yoshinori Ohsumi
Als fortlaufender „Frühjahrsputz“ gehört die Autophagie zu den wichtigsten Mechanismen der Zelle, um sich vor schädlichen Müllansammlungen zu schützen. Bereits in den 1960er Jahren haben Forscher den Recyclingprozess erstmals beschrieben. Allerdings war damals noch unbekannt, wie die „Selbstverdauung“ im Detail abläuft. Erst 30 Jahre später konnte eine kleine Forschergruppe um den Grundlagenforscher Yoshinori Osumi die exakten Abläufe der Autophagie aufklären.
Für seine grundlegenden Experimente nutzte Osumi zunächst Hefezellen, mit denen es gelang, Autophagosomen unter dem Mikroskop sichtbar zu machen. Später konnte Osumi zeigen, welche Gene wesentlich an der Autophagie beteiligt sind (sogenannte Autophagie-Gene), und wie ein Netzwerk aus Proteinen und Zellsignalwegen die verschiedenen Phasen der Zellregeneration reguliert. Für die Entdeckung dieser wichtigen Einzelheiten des lebenswichtigen Prozesses erhielt Yoshinori Ohsumi im Oktober 2016 den Nobelpreis für Medizin.
Autophagie aktivieren – so kannst Du die Selbstreinigung der Zellen anregen
Autophagie-Prozesse werden u. a. dann angekurbelt, wenn der Nachschub an Nähr- und Baustoffen fehlt. Ein Mangel an Nährstoffen, insb. an Aminosäuren, aktiviert demnach die Autophagie. Wer die Regeneration der Zellen aktiv unterstützen und dem vorzeitigen Altern entgegenwirken möchte, muss folglich ins Schwitzen kommen oder Fasten. Falls das keine Option ist, können wir die Zellregeneration aber auch mithilfe bestimmter Nahrungsinhaltsstoffe aktivieren.
Sport
Regelmäßige Bewegung regt den Organismus an, Fett und Glykogen abzubauen, um Energie für den Erhalt der Leistungsfähigkeit zu produzieren. Diese Mobilisierung von Nährstoffen signalisiert den Zellen einen Stress- bzw. Hungerzustand, der die Autophagie ankurbelt.
Spermidin
Spermidin ist ein ubiquitär vorkommender natürlicher Botenstoff, dem zahlreiche Anti-Aging Effekte nachgesagt werden. Neben anti-oxidativen und anti-entzündlichen Effekten, scheint Spermidin nämlich auch die Autophagie „einschalten“ zu können. Interessanterweise nimmt die Konzentration des Moleküls in den Zellen mit zunehmendem Alter ab. Mithilfe von Spermidin-reichen Lebensmitteln wie Weizenkeimen, Pilzen, Brokkoli, Blumenkohl, Sojaprodukten und gereiftem Käse können wir unsere Spermidin-Bilanz aber wieder aufpäppeln.
Sirt-Food
Sirtuine sind Enzyme, die an der Steuerung von Alterungsprozessen beteiligt sind. Bei verschiedenen Organismen wurde beispielsweise beobachtet, dass die lebensverlängernden Effekte der Kalorienrestriktion, bei der auch die Autophagie eine Rolle spielt, über Sirtuine vermittelt wird. Wer auf Kalorienbeschränkungen verzichten möchte, kann die „Langlebigkeits-Proteine“ auch über die Ernährung ankurbeln. Insbesondere Beeren, Trauben, Zwiebeln, Kohlsorten, Brokkoli, Kräuter und Gewürze enthalten wertvolle sekundäre Pflanzenstoffe, die die Sirtuine aktivieren. Eine pflanzenbasierte Ernährung mit reichlich Sirt-Foods kann demnach ein gesundes, langes Leben unterstützen.
Ketogene Ernährung
Neben Sirt-Food wird auch die ketogene Ernährung, bei der weitgehend auf Kohlenhydrate verzichtet wird, häufig mit gesundem Altern in Verbindung gebracht. Experten vermuten, dass unsere Körperzellen durch die vermehrte Bildung von Ketonkörpern in einen Stresszustand versetzt werden, der wiederum Zellschutzmechanismen wie die Autophagie in Gang setzt. Ob eine ketogene Ernährung tatsächlich die Regeneration menschlicher Zellen und das gesunde Altern unterstützt, ist bisher allerdings nicht eindeutig belegt. Zudem raten viele Experten von einer dauerhaften ketogenen Ernährung ab, da die Aufnahme von Obst, Gemüse und Getreide limitiert ist und es so zu einer unzureichenden Versorgung von Mikronährstoffen kommen kann. Gleichzeitig ist die ketogene Ernährung nicht für jeden geeignet, so dass vor Beginn einer ketogenen Diät die Rücksprache mit Expert:innen sinnvoll ist.
Autophagie und Fasten
Fasten wird traditionell als Maßnahme zur Reinigung eingesetzt. Tatsächlich gehört Fasten auch zu den stärksten Antreibern der Autophagie, denn durch den Nahrungsentzug muss die Zelle lernen, auf eigene Ressourcen zur Gewinnung von Energie und Baumaterial zurückgreifen. Da der Mensch aber natürlich auf eine ausreichende Versorgung mit Nährstoffen angewiesen ist, kann der Nahrungsverzicht nur eine kurzzeitige Maßnahme zur Unterstützung der Zellreinigung sein.
Forscher gehen aber davon aus, dass die Zellregeneration nach zwölf bis vierzehn Stunden langsam auf Hochtouren läuft. Daher scheint vor allem das Intervallfasten (intermittierendes Fasten) bei dem phasenweise auf Nahrung verzichtet wird, ein guter Weg zu sein, die Selbstreinigungsprozesse anzuregen. Dabei kann man je nach Vorliebe auf verschiedene Methoden setzen. Wie stark die zelluläre Müllbeseitigung abläuft, ist jedoch individuell verschieden und hängt u. a. vom Lebensstil und genetischen Faktoren ab. Wenn Du das Intervallfasten einmal ausprobieren möchten, kannst Du es zum Beispiel mit einer der folgenden Methoden versuchen. Vergiss aber nicht, in jedem Fall auf eine ausreichende Nährstoffversorgung zu achten, denn diese kann bei einer ungünstigen Lebensmittelauswahl in den „Essensphasen“ sonst zu kurz kommen.
Intervallfasten – die häufigsten Methoden
- 16:8 Methode: zwischen der letzten Mahlzeit des Tages und der ersten Nahrungsaufnahme des Folgetages liegen sechzehn Stunden, so dass der Körper über Nacht in eine kurze Fastenperiode eintritt. In den acht Stunden, in denen gegessen werden darf, werden häufig 2 Mahlzeiten verzehrt, d.h. auf die Früh- oder Spätmahlzeit wird verzichtet.
- 5:2 Methode: an fünf Tagen in der Woche wird wie gewohnt gegessen, an den anderen beiden Tagen wird gefastet. An diesen sollten maximal 20-25 % der benötigten Energie aufgenommen und auf schnell verdauliche Kohlenhydrate wie Weißbrot oder Nudeln, Kartoffeln und Zucker verzichtet werden.
- 1:1 Methode (alternierendes Fasten): „normale“ Tage und Fastentage wechseln sich ab. Diese Form des Fastens ist in der Regel anstrengender für den Körper als die anderen Varianten, so dass vor Beginn eine Rücksprache mit einer Ärztin oder einem Arzt sinnvoll ist.