Teil 1: Genetische und hormonelle Ursachen
Welche genetischen Ursachen können die männliche Fruchtbarkeit beeinflussen?
Dr. Dr. Denil: Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen haben fünf bis 20 Prozent der Störungen der männlichen Fruchtbarkeit eine genetische Ursache. Eine davon kann eine sehr schwere Fertilitätsstörung sein, das sogenannte Klinefelter-Syndrom. Bei dieser angeborenen Krankheit hat der Mann in seiner Chromosomenformel 2 X-Chromosomen statt 1 X- und 1 Y- Chromosom. Das führt dazu, dass er keine (medizinisch: Azoospermie) oder sehr wenig Spermien bildet (medizinisch: schwere Oligozoospermie). Zudem kommt es im Laufe des Lebens zu einem zunehmendem männlichen Hormonmangel. Können jedoch Spermien bei einer Untersuchung sichergestellt werden, besteht bei einem Kinderwunsch die Chance, dass eine assistierte Befruchtungsbehandlung mit Erfolg durchgeführt werden kann.
Diese kann auch bei der sogenannten kongenitalen Samenleiteraplasie erfolgreich sein, einer ebenfalls angeborenen Fehlbildung, bei der Männer keine Samenleiter haben. Die Hodenfunktion ist jedoch normal, wodurch sich durch einen kleinen operativen Eingriff Spermien für spätere Befruchtungsvorgänge kryokonservieren (einfrieren) lassen. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, bestimmte Chromosomen im Rahmen eines sogenannten humangenetischen „Fertilitätspanels“ zu bestimmen. Ob eine solche Genanalyse sinnvoll ist, entscheiden Ärzte individuell.
Wann genau kann eine Genanalyse bei einer Unfruchtbarkeit beim Mann sinnvoll sein?
Dr. Dr. Denil: Einerseits, um eine Erklärung für die Unfruchtbarkeit zu finden, wenn alle bisherigen Untersuchungen nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben. Zum anderen aber auch, damit eine Beratung über mögliche gesundheitliche Konsequenzen für den Betroffenen und/oder seine engen Verwandten erfolgen kann. Denn Genmutationen, die beim Mann zur Samenleiteraplasie führen, können auch Frauen in sich tragen. Sie verursachen bei der Frau zwar keine Symptome. Doch erbt das Kind von beiden Eltern diese Mutation, dann hat es ein erhöhtes Risiko, an der schweren Krankheit Mukoviszidose zu erkranken. Oft geht die Erkrankung bereits mit angeborenen schweren Defiziten der Lungen- und Bauchspeicheldrüsenfunktion einher. Bestätigt sich, dass der Mann die Genmutationen hat, vor der Befruchtungsmaßnahme unbedingt auch bei der Frau abgeklärt werden, ob sie ebenfalls die Genmutation in sich trägt.
Welche angeborenen anatomischen Fehlbildungen können eine Ursache für die Unfruchtbarkeit beim Mann sein? Wie lassen sie sich behandeln?
Dr. Dr. Denil: Der Hodenhochstand ist eine sehr häufige Ursache von unzureichender Spermienqualität. Je nach Lage spricht man vom Leistenhoden oder Bauchhoden. Er entsteht im männlichen Embryo. Normalerweise wandern die Hoden ab der siebten Schwangerschaftswoche unter hormonellem Einfluss in die Leisten und schließlich in den Hodensack. Bei drei bis vier Prozent der zum ausgerechneten Geburtstermin geborenen männlichen Babys ist dies nicht der Fall. Eine Frühgeburt erhöht die Wahrscheinlichkeit. Bei Männern, die einen beidseitigen Hochstand haben, steigt zudem das Risiko für späteren Hodenkrebs um 13 Prozent. Zudem sind angeborene Fehlbildungen der Nebenhoden und Samenleiter deutlich häufiger: Bei fehlpositionierten Hoden kommen sie in mindestens 35 Prozent der Fälle vor. Liegen die Hoden bei der Geburt korrekt, liegt das Risiko nur bei fünf Prozent. Auch das Risiko für eine Hodentorsion oder einen Leistenbruch steigt.
Aufgrund der Risiken ist es daher wichtig, dass der Hodenhochstand so früh wie möglich nach der Geburt festgestellt und konsequent behandelt wird – und zwar operativ durch einen Kinderurologen oder Kinderchirurgen. Bis zum Ende des 1. Lebensjahrs sollten die Hoden im Hodensack sein. Zwar behebt die Operation die Fehlposition und vermeidet in sehr hohem Maße die negativen Folgen, aber an den eventuell bereits entstandenen Schäden des Keimgewebes kann auch sie nichts ändern. Darum müssen Jungen unbedingt bei Anfang der Pubertät andrologisch untersucht werden. Und auch später ist — wegen des erhöhten Krebsrisikos — unabhängig von einem Kinderwunsch ein regelmäßiges urologisches Follow-up sehr ratsam.
Können auch hormonelle Störungen eine Ursache für die Unfruchtbarkeit beim Mann sein?
Dr. Dr. Denil: Ja, auch hormonelle Störungen können eine Ursache für männliche Unfruchtbarkeit sein. Das Keimgewebe im Hoden braucht für eine gute Funktion einen ausreichenden Vorrat an männlichen Hormonen. Wer dann denkt “viel hilft viel” und mit einer Hormonzufuhr von außen nachhelfen will, irrt sich: Eine solche externe Zufuhr bremst sogar die Samenreifung, weil der hormonelle Regelkreis, der dies alles steuert, dann gestört wird. Die nötige Testosteronmenge für seine eigene Funktion produziert der Hoden selbst.
Aber es gibt auch Krankheiten der Hypophyse (eine kleine Drüse, die hinter den Augen unterhalb des Großhirns sitzt und das zentrale Steuerungsorgan aller Hormonprozesse im Körper ist), die dazu führen, dass die Hoden für eine gute Samenreifung nicht genügend hormonelle Impulse bekommen. Dies führt dann zu einer geringeren Samenqualität. Ein solcher “hypogonadotroper Hypogonadismus” kann, wenn er früh genug entdeckt wird, behandelt werden. Auch Funktionsstörungen der Schilddrüse können zu Fruchtbarkeitsstörungen führen, sind aber ebenfalls gut behandelbar.
Teil 2: Verletzungen, Erektions- und Ejakulationsstörungen
Nachdem wir uns in Teil 1 unserer Reihe „Gründe für die männliche Unfruchtbarkeit“ genetische und hormonelle Ursachen genauer angeschaut haben, beleuchtet der Urologe und Androloge Dr. Dr. Johan Denil im zweiten Teil näher, was es mit „Krampfadern“ im Hoden als Ursache auf sich hat und welchen Einfluss Verletzungen im Genitalbereich sowie Erektions- und Ejakulationsstörungen auf die männliche Fruchtbarkeit haben können. Zudem zeigt er auf, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.
Krampfadern kennen wir von Beinen. Sie können aber auch im Hoden auftreten, richtig?
Dr. Dr. Denil: Das stimmt, die Varikozele. Mit den Krampfadern an den Beinen haben sie aber nichts gemeinsam. Eine Varikozele ist eine an sich harmlose krampfaderartige Erweiterung des Adergeflechts im Samenstrang. Die kommt bei 11 bis 15 Prozent der Männer vor, jene mit Fruchtbarkeitsproblemen leiden drei- bis viermal häufiger darunter. Wie es zu der Entstehung kommt, ist noch nicht geklärt. Bei manchen Betroffenen führt sie zu leichten, ziehenden Schmerzen im linken Hodensack oder in der Leiste. Bei der Mehrheit bleibt die Varikozele jedoch symptomlos.
Wie werden Varikozele behandelt?
Dr. Dr. Denil: Die Behandlung einer Varikozele bei fruchtbarkeitsgestörten Männern ist seit über 50 Jahren umstritten. Bis vor etwa fünf Jahren gab es die Auffassung, dass eine Behandlung jenseits von 35 Jahren keine Verbesserung der Fruchtbarkeit mehr bringen würde. Die Operationen wurden daher Männern zwischen 35 und 40 Jahren nicht mehr empfohlen – leider jene, die am häufigsten betroffen sind. Auf Basis großer Sammelstudien wurde in den letzten Jahren jedoch deutlich, dass es sich in vielen Fällen doch noch lohnt, auch diese “älteren” Männer mit Varikozele und unerfülltem Kinderwunsch zu operieren. Denn nicht nur die Ejakulatqualität verbesserte sich sehr häufig — um etwa zehn Prozent. Auch die Ergebnisse der assistierten Befruchtung sowie die Geburtsraten stiegen im Vergleich mit der nicht operierten Gruppe deutlich an. Dabei zeigte sich auch, dass die mikrochirurgische Varikozelenoperation die besten Ergebnisse in Kombination mit den wenigsten Komplikationen liefert.
Zeigt sich bereits in der Pubertät, dass der betroffene (meistens linke) Hoden im Wachstum zurückbleibt oder im Ejakulat bereits eine Verminderung der Samenqualität besteht, erfolgt die Operation am besten präventiv. Bei Jugendlichen mit Varikozele, aber ohne entsprechende Symptome ist es ratsam, dass etwa jährlich eine Nachuntersuchung stattfindet.
Auch frühere Verletzungen im Genitalbereich gelten als mögliche Ursache für Fruchtbarkeitsstörungen. Welche genau?
Dr. Dr. Denil: Fast alle Männer haben eine schmerzhafte Jugenderinnerung mit unsanften Kontakten der Hoden mit der Fahrradstange oder einem Fußball. Doch nur sehr selten kommt es dabei zu schweren Traumata der Hoden. Und wenn doch, können durch eine zügige ärztliche Behandlung Narben vermieden werden, die zu Funktionsstörungen der Hoden führen können. Auch Verletzungen der Samenstränge, in denen die Samenleiter verlaufen, sind dadurch sehr selten. Möglich, aber ebenfalls sehr gering, ist das Risiko, dass es bei nicht fachgerechten Operationen eines Leistenbruchs bei Säuglingen oder Kleinkindern zu einer Verletzung des sehr zarten Samenleiters kommt.
Was die Fortpflanzungsorgane im Becken oder Leistenkanal (Samenstrang, Prostata, Samenbläschendrüsen) jedoch sehr wohl direkt verletzen kann, sind insbesondere schwere Unfälle mit Becken- oder Wirbelsäulentraumata. Auch indirekte Schäden dieser Organe können Funktionsstörungen zur Folge haben, etwa durch Schädigung der Blutzufuhr oder der Nervenversorgung.
Können Verletzungen auch zu Verschlüssen der ableitenden Samenwege führen?
Dr. Dr. Denil: Wie bereits gesagt, sind Verletzungen von Fortpflanzungsorganen, die Vernarbungen und Verstopfungen zur Folge haben, in der Regel selten. Durch eine sehr schwere oder eine nicht adäquat behandelte Entzündung der Nebenhoden kann jedoch eine Vernarbung entstehen, die den Abtransport der Spermien aus dem Hoden verhindert. Vor allem Chlamydien sind hierfür berüchtigt. Daher behandeln wir diese Erreger bei zeugungsfähigen Männern auch immer konsequent, selbst dann, wenn sie keine Symptome haben.
Die weitaus gängigste Ursache von Samenleiterverschlüssen ist die gewollte Durchtrennung bei einer Vasektomie, also der Sterilisierung des Mannes. Eine Studie der Universität Köln bezifferte in den 80er Jahren die Zahl der Männer, die danach einen erneuten Kinderwunsch hatten, für das deutschsprachige Europa auf etwa sechs Prozent. Neuere Erhebungen fehlen, aber da sich bedeutend mehr Männer als früher durch eine Vasektomie an der Familienplanung beteiligen, dürfte die Zahl inzwischen bei über zehn Prozent liegen. Diese Verschlussform kann — in Händen von erfahrenen Mikrochirurgen – mit einer Erfolgsquote von etwa 90 Prozent operativ behandelt werden.
Kommen wir zu einem sehr sensiblen Thema: Erektionsstörungen. Wie hängen sie mit der männlichen Unfruchtbarkeit zusammen?
Dr. Dr. Denil: Neben der Erregbarkeit und Lust auf Sex braucht es eine vollständige Erektion, um den Samenerguss in die hintere Scheide, wo sich der Eingang zur Gebärmutter befindet, zu ejakulieren. Bei den allermeisten Männern ist dies in der Regel kein Problem. Dennoch können selbst junge Männer unter Umständen so unter einem unterfüllten Kinderwunsch leiden bzw. in ihrem Selbstbild als Mann erschüttert werden, dass dadurch ihre Sexualfunktion gehemmt ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn eine assistierte Reproduktion (Reagenzglasbefruchtung) notwendig ist. Auch das strikte Ovulationsmonitoring im Zyklus kann belastend sein. Die Erektionsfähigkeit ansonsten völlig potenter Männer kann unter diesem Zeitdruck, just im Moment des Eisprungs Verkehr zu haben oder durch Masturbation eine Samenprobe beizubringen, leiden. Von ärztlicher Seite können wir mit einer empathischen Beratung und, wenn es nötig ist, auch mit einer vorübergehenden Medikation helfen. Da Kinderwunsch heute auch nicht selten bei Männern über 40 Jahren besteht, müssen in der andrologischen Beratung auch mögliche gesundheitliche Risiken oder Krankheiten, die sich hinter dem Symptom “Erektionspanne” möglicherweise verbergen, abgeklärt werden.
Kann auch der frühzeitige Samenerguss eine Ursache dafür sein, dass der Kinderwunsch auf natürlichem Weg unerfüllt bleibt?
Dr. Dr. Denil: Von einem frühzeitigen Samenerguss ist die Rede, wenn Männer bei mindestens der Hälfte der sexuellen Begegnungen den Zeitpunkt des Samenergusses nicht kontrollieren können oder sie die Ejakulation für länger als eine Minute (primäre Form) bzw. drei Minuten (erworbene Form) nicht kontrolliert verzögern können. Sie kann erworben oder primär (seit den ersten sexuellen Erfahrungen) sein. Bei der sogenannten “ante portas” Ejakulation, erfolgt der Samenerguss sogar schon vor dem Einführen des Penis in die Vagina.
Laut Studienlage sind von einem frühzeitigen Samenerguss etwa fünf bis sechs Prozent der sexuell aktiven Männer betroffen. Das mag wenig klingen, aber für die Betroffenen und für ihre Partnerinnen führt es zu einem enormen Leidensdruck. Zwar ist es aus Sicht der Fortpflanzung ausreichend, wenn der Mann halbwegs tief in der Scheide ejakuliert. Doch dies trägt keineswegs der persönlichen und zwischenmenschlichen Frustration Rechnung, die ein frühzeitiger Samenerguss mit sich bringt. Betroffene sollten nicht zögern, dieses verständlicherweise mit Scham besetzte Thema in der Beratung anzusprechen. Denn zur Behandlung stehen sexualmedizinische und medikamentösen Therapien zur Verfügung.
Können hinter Ejakulationsstörungen auch Erkrankungen stecken?
Dr. Dr. Denil: Ja, das kann insbesondere bei einer verzögerten Ejakulation der Fall sein, der Ejaculatio tarda. Neurologische Störungen oder Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes sowie Prostata-Erkrankungen kommen infrage. Hier sollte die Ursache abgeklärt und, wenn möglich, behandelt werden. Allen Kinderwunsch-Männern sei jedoch gesagt, dass diese Form eher seltener auftritt und auch nur in wenigen Fällen zu Fruchtbarkeitsstörungen führt.
Einige Männer beobachten zudem eine rötliche oder bräunliche Blutbeimischung im Samenerguss. So groß der Schrecken oft auch ist, diese sogenannte Hämatospermie ist eher selten und in den meisten Fällen ist die Fertilität dadurch nicht beeinträchtigt – mit Ausnahme von Entzündungen, die jedoch behandelbar sind. Auch wenn die Ursachen der Blutungen fast immer harmlos sind, so ist es dennoch wichtig, den Ursachen auf den Grund zu gehen.
Männliche Fruchtbarkeit – und die Rolle von Medikamenten
„Es gibt eine Reihe an Medikamenten, die Einfluss auf die männliche Fruchtbarkeit nehmen können“, so Dr. Dr. Denil. „Dazu zählen unter anderem die sogenannten Alphablocker, die bei Prostatabeschwerden verschrieben werden.“ Sie können die Menge an Samengüssen vermindern oder sie ganz verhindern. Denn Alphablocker sorgen für eine Entspannung des Harnblasenausgangs, wodurch der Samenerguss teilweise oder ganz in die Blase geht. Zudem kann das Medikament die „Pumpfunktion“ der Samenleiter verhindern.
Eine ganze Reihe von Medikamenten, dazu gehören vor allem Anabolika, Chemotherapeutika und sog. Immunmodulatoren, können zudem die Entwicklung der Samenzellen im Hoden vermindern oder verhindern. Andere wiederum stören die Spermienbeweglichkeit, etwa einige Antibiotika oder Mittel zur Magensäurehemmung, weiß Dr. Dr. Denil. Psychopharmaka und andere bestimmte Antidepressiva stören zudem häufig eine oder mehrere Aspekte der Sexualfunktion (Lust, Erektion, Ejakulation).
„Wenn ein Kinderwunsch besteht, rate ich jedem Mann, dies bei Notwendigkeit einer Medikamenteneinnahme mit der Ärztin oder dem Arzt zu besprechen“, sagt der Urologe. „Eine schlechte Idee ist hingegen, die Medikation ohne Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt einfach abzusetzen.“
Teil 3: Lebensstilfaktoren
Es gibt viele Lebensstilfaktoren, die die männliche Fruchtbarkeit beeinflussen können. Der Urologe Dr. Dr. Johan Denil zeigt auf, welche das sind. Außerdem gehen wir der Frage nach: Kann das Smartphone in der Hosentasche das Risiko für Unfruchtbarkeit erhöhen?
In unserem letzten und dritten Teil der Reihe „Gründe für die männliche Unfruchtbarkeit“ schauen wir uns genauer an, welchen Einfluss Übergewicht und andere Lebensstilfaktoren wie Alkohol, Stress und Co. auf die männliche Fruchtbarkeit haben können. Außerdem gibt unser Experte Dr. Dr. Johan Denil, Urologe und Androloge, Antworten auf die Frage, ob das Smartphone in der Hosentasche, die Sitzheizung, enge Unterhosen und Saunabesuche unfruchtbar machen können.
Welche Rolle spielt das Gewicht beim Thema männliche Fruchtbarkeit? Kann sich Übergewicht vielleicht sogar negativ darauf auswirken?
Dr. Dr. Denil: Übergewicht ist in der Tat ein sehr schwerwiegendes Thema für die Fruchtbarkeit. Die Zahl an übergewichtigen Menschen nimmt in unserer Gesellschaft zu. Es bestehen sehr viele belastbare wissenschaftlichen Daten, dass mäßig bis stark übergewichtige Männer eine deutlich geringere Qualität ihrer mikroskopischen Ejakulatparameter haben – also beispielsweise der Menge des Ejakulates, die Spermienanzahl sowie die Beweglichkeit der Spermien. Diese Parameter werden im Rahmen eines Spermiogramms ermittelt. Darüber hinaus kann Übergewicht auch Auswirkungen auf die Potenz haben.
Noch wichtiger als die Gewichtsreduktion an sich, ist bei Kinderwunsch den Bauchumfang unter 95 Zentimeter zu halten. Denn es ist insbesondere das Bauchfett (viszerale Fett), das sich negativ auf die männliche Fruchtbarkeit auswirken kann. Es greift in den Hormonhaushalt des Körpers ein und kann die Spermienproduktion und Spermienausreifung im Hoden und Nebenhoden stören. Wenn man den Bauchumfang messen möchte, dann setzt man das Messband in Nabelhöhe bei entspanntem Bauch an — nicht einziehen!
Die gute Nachricht ist jedoch, dass sich beim Faktor Gewicht gut gegensteuern lässt. Auch im Alter der üblichen Familiengründung können die Lebensgewohnheiten noch gut korrigiert werden. Insbesondere Bewegung spielt eine wichtige Rolle.
Mehr Bewegung im Alltag, das fällt vielen schwer. Haben Sie Tipps?
Dr. Dr. Denil: Insbesondere für Männer, die jahrelang gar keine Bewegung hatten, rate ich, Stück für Stück mehr Bewegung in den Alltag zu integrieren, da sonst die Motivation schnell verschwindet. Am Anfang reicht es schon, nicht den Fahrstuhl oder die Rolltreppe zu nehmen, sondern ein Paar Etagen zu laufen. Oder zwei bis drei Haltestellen vor dem Endziel aus dem Bus oder der Bahn auszusteigen und den Rest zu Fuß zu gehen. So kann man sich langsam steigern, hin zu einer ambitionierten sportlichen Aktivität. Zum Beispiel drei Mal die Woche eine halbe bis eine Stunde laufen oder am Wochenende eine größere Fahrradtour. Auch ein angepasstes Muskelaufbau-Programm hilft, das oben besprochene Bauchfett nachhaltig zu reduzieren. Ein guter Sportcoach, den oder die man inzwischen in jedem gut geführten Sportstudio in Anspruch nehmen kann, kann professionelle Tipps beisteuern. Sport in Maßen ist nicht nur für die Fruchtbarkeit sehr wirksam, sondern hilft auch beim Stressabbau.
Wenn wir schon beim Thema Stress sind. Hat auch dieser Einfluss auf die männliche Fruchtbarkeit?
Dr. Dr. Denil: Stress ist in der Lage, unsere Gesundheit auf vielen Ebenen zu stören. Die männliche Fruchtbarkeit ist da keine Ausnahme. Es gibt belastbare Untersuchungsergebnisse, die belegen, dass sich unter Stressbedingungen die oxidative Belastung der Körperzellen durch sogenannte Sauerstoffradikale oder “reactive oxygen species” (ROS) zunimmt. Das kann auch Auswirkungen auf Spermien haben. Unter anderem können sie sich schlechter vorwärtsbewegen. Das wiederum kann ein Hindernis beim Erreichen der Eizelle und der Start ihrer Befruchtung sein.
Bei dieser Thematik setzen Nahrungsergänzungsmittel an, die eine hohe, ausgewogene Konzentration an Antioxidantien haben, also Substanzen wie Vitamin C und E, dem Coenzym Q10 sowie Folsäure. Alleine könnten sie zwar eine Fruchtbarkeitsstörung durch Adipositas oder Stress nicht aufheben. Im Rahmen von ärztlichen und persönlichen Maßnahmen zur Änderung der Lebensgewohnheiten passen sie jedoch sehr gut.
Übrigens: Auch Sport kann auf Organ- und Zellebene eine Form von Stress sein, insbesondere dann, wenn er im Leistungssportbereich ausgeübt wird. Das heißt jetzt nicht, dass Sportler nicht fruchtbar sind. Es kommt auf das Maß an. Gut trainierte Sportler, die ihrem Körper regelmäßig Erholungspausen gönnen und sehr gesundheitsbewusst essen und trinken, haben bestimmt bessere Fruchtbarkeitsmerkmale als übergewichtige “Couch-Potatos”.
Gibt es weitere Faktoren, die sich negativ auf die Fruchtbarkeit von Männern auswirken können?
Dr. Dr. Denil: Ja, zum Beispiel schwere körperliche Arbeit. 2015 hat eine US-amerikanische Studie an über 350 Personen nachgewiesen, dass bei 13 Prozent der Männer, die eine schwere körperliche Arbeit ausüben, eine Oligozoospermie (eine signifikante Reduzierung der Spermiengesamtzahl im Ejakulat) nachgewiesen aufritt. Bei Männern, die eine Bürotätigkeit hatten, waren es sechs Prozent. Andere mögliche Ursachen der Oligozoospermie wurden herausgerechnet. Als Nebenergebnis zeigte diese Studie, dass ein unbehandelter Bluthochdruck zu einer Erhöhung der fehlgebildeten Spermien führte.
Auch Umweltfaktoren am Arbeitsplatz oder allgemein im Leben können Einfluss auf die männliche Fruchtbarkeit nehmen. Das ist jedoch ein sehr komplexes Thema, da Schädigung meist auf eine Vielzahl an Ursachen oder Schädigungsmechanismen zurückzuführen sind. Etwa chemische Reaktionen, Ausdünstungen, Hitze, elektromagnetische oder ionisierende Strahlung. Dadurch sind die Ergebnisse der Forschung bislang unvollständig und teils auch widersprüchlich.
Was jedoch gesichert ist, ist, dass ionisierende Strahlen die Keimzellen schädigen oder sogar vernichten können. Personen, die beruflich mit Strahlenquellen arbeiten, sei es in der medizinischen Versorgung oder in der Industrie, sollten daher unbedingt die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen einhalten. Neben Schutzkleidung ist die wichtigste Maßnahme einen größtmöglichen Abstand zur Strahlenquelle einzuhalten. Auch Schadstoffe aus der Umwelt wie Blei, Cadmium oder Quecksilber können die Fruchtbarkeit aktiv beeinflussen. Vor allem eine hohe Bleibelastung ist hochtoxisch für die Hoden. Auch da müssen Arbeiter in den entsprechenden Berufsfeldern unbedingt alle vorhandenen Schutzmittel verwenden.
Auch chemische Substanzen, die wir über die Nahrung zu uns nehmen, können im männlichen Körper den Testosteronspiegel senken und die Östrogenkonzentration steigern. Das stört die Samenzellenproduktion und die Qualität des Ejakulats. Die fruchtbarkeitsschädigende Wirkung von Pestiziden, chlororganischen Verbindungen, extremer Hitze (Hochöfen) und bestimmten Farb- oder Lackierungsstoffen wird ab einem bestimmten Maß an Belastung inzwischen anerkannt. Doch wie sehr und wie genau das jetzt den einzelnen Mann individuell schädigt, lässt sich kaum beweisen.
Wie sieht es mit Alkohol und Nikotin aus?
Dr. Dr. Denil: Hoher bzw. sehr häufiger Alkoholkonsum hat nachgewiesenermaßen einen negativen Einfluss auf die männliche Fruchtbarkeit. Vor allem, wenn mehr als die von der WHO empfohlenen Alkoholmengen getrunken wird. Diese liegt bei maximal zwei Standarddrinks täglich, beziehungsweise max. zehn Standarddrinks pro Woche. Ein Standarddrink entspricht zwei kleinen Bieren oder zwei kleinen Gläsern Wein oder einem hochprozentigen Getränk von vier Milliliter.
Alkohol vermindert die Ausschüttung bestimmter Hormone, wodurch der Hoden weniger stimuliert wird. Die Produktion von Testosteron nimmt ab, die des Östrogens zu und es werden weniger Spermien produziert und/oder deren Qualität ist verringert. Umgekehrt ist es wissenschaftlich bewiesen, dass eine längere Alkoholpause oder eine signifikante Reduzierung des Konsums die Samenqualität deutlich verbessert.
Auch Nikotin reduziert bewiesenermaßen die männliche Fruchtbarkeit. So haben Raucher zwischen 30 und 70 Prozent weniger Spermien im Ejakulat. Außerdem leiden sowohl die Beweglichkeit als auch die Morphologie der Spermien, was bedeutet, dass es bedeutend mehr fehlgebildete Spermien bei Männern gibt, die rauchen. Dadurch erreichen weniger qualitativ gute Spermien die Eizelle und die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung nimmt ab.
Zum Schluss möchten wir gerne noch wissen: Wirken sich Smartphones in Hosentaschen, Sitzheizungen, enge Unterhosen und Saunabesuche auf die männliche Fruchtbarkeit aus? Müssen Männer mit Kinderwunsch diese Alltagsthemen im Auge behalten?
Dr. Dr. Denil: Die Befürchtungen negativer Auswirkungen all dieser Alltagsfaktoren sind weit verbreitet, aber unbegründet. In keiner seriösen wissenschaftlichen Studie konnte ein signifikanter Einfluss von Wärme, Bekleidung oder Saunabesuchen auf die männliche Fruchtbarkeit nachgewiesen werden. Dies gehört alles zu den Mythen, die aus Mangel an erfassbaren Ursachen herbeigeführt wurden.
Noch eine Sache zum Smartphone: Theoretisch könnten elektromagnetische Wellen bei Handys oder Smartphones auch durch die Haut bis zu den Hoden gelangen. Der Abstand muss dabei aber extrem kurz sein, die Expositionsdauer sehr lange und die Wellen kräftig. Auch wenn in Studien eine minimale elektromagnetische Strahlung belegt werden konnte, so hatte diese keinen messbaren Effekt auf die Zahl oder die Qualität der Samenzellen sowie auf die Ausschüttung von Testosteron durch den Hoden.
Vielen Dank Herr Dr. Dr. Denil für das Gespräch!